Kampf um das Freibaden am Lehnitzsee

Von Bodo Becker

Das Foto entführt uns in eine Zeit vor mehr als achtzig Jahren, in der sich Oranienburger und angereiste Berliner bei sommerlichen Temperaturen in Scharen zu den beiden Freibädern am Lehnitzsee begaben. Nicht ohne Neid blickten dabei die Oranienburger Stadtväter auf das geschäftliche Treiben mit hölzerner Badeanstalt und Ausflugslokal von Carl Müller am östlichen Ufer des Lehnitzsees. Die Oranienburger Badefreunde nutzten derweil den nach der Fertigstellung des Großschifffahrtsweges entstandenen weißen Strand zwischen der damaligen Alsenstraße (später Victoriastraße, nach 1945 Mainzer Straße) und der damaligen Wilhelmstraße (nach 1945 Rüdesheimer Straße) als Freibad. Immer wieder gab es Verbote von Seiten der Stadt hinsichtlich des Freibadens außerhalb der Badeanstalt in Lehnitz. Förster und Gendarmerie wurden eingesetzt, um das Verbot durchzusetzen. Man schüttete sogar Eisenschlacke ins Wasser, um das Baden zu erschweren und nahm Verletzungen in Kauf.

Freibaden am Lehnitzsee (Archiv Bodo Becker)

Freibaden am Lehnitzsee (Archiv Bodo Becker)

Es half aber nur wenig, wie die Zeitungen regelmäßig in den Sommermonaten berichteten. Aber auch in Lehnitz gab es genug Wasserliebhaber, die das kostenlose Freibaden vorzogen. Dort war in der Nähe des Restaurants Zum Seelöwen nach 1918 ebenfalls ein Freibad entstanden. Das Verhalten einiger Freibader in der Öffentlichkeit gab öfters Anlass zu Berichten in den regionalen Zeitungen. „Junge Burschen, die nur in Badehosen bekleidet sind, sich in dieser Aufmachung zum Bahnhof begeben, um die holde Weiblichkeit abzuholen.“, schrieb der  Briesetal-Bote im August 1923. Eine Veranstaltung, die die Gemeindevertreter aufschreckte, fand im Mai 1930 statt. Mehr als 3000 Mitglieder der Nacktkulturabteilung des Turnvereins Fichte stürzten sich am Ufer des Seelöwen in die Fluten. Um das Freibaden hier in Zukunft zu verhindern, beschloss die Gemeindevertretung wenige Tage später, vor der Gaststätte eine 320 Meter lange Uferpromenade anzulegen, was in den Folgejahren auch geschah.

Gehen wir zurück nach Oranienburg, wo es 1928/29 zu außerordentlich harten politischen Auseinandersetzungen um die Einrichtung einer kommerziellen Badeanstalt auf dem Gelände des Freibades kam. Die Bürgerliche Vereinigung Oranienburg-Neustadt setzte sich nachdrücklich für den Bau und die Vermietung einer Badeanstalt ein. Mit Schreiben an den Bürgermeister, die  Stadtverordneten und Erklärungen in der Öffentlichkeit versuchte sie, ihren Wunsch Nachdruck zu verleihen. Notfalls wollte man sich sogar an die Kreisverwaltung oder die Verwaltung des Regierungsbezirks Potsdam wenden. Die Mitglieder versprachen sich mehr bürgerliche Besucher, eine Umsatzerhöhung der nahe liegenden Restaurants und Geschäfte sowie die Beruhigung des Areals. Als die Stadtverordneten sich im Februar 1929 erstmalig mit dem Projekt beschäftigten und konkrete Planungen diskutiert wurden (Größe ca. 15000 qm, Kosten ca. 28.000 Reichsmark), brach in den folgenden Wochen ein Sturm der Entrüstung gegen die Pläne los. Klassenkämpferisch wandte sich der Deutsche Fabrikarbeiter-Verband in einem Schreiben (8. April 1929) an die städtischen Verantwortlichen:

„Das Recht der Werktätigen, sich von den tagtäglichen Strapazen um den Broterwerb am Wasser und in frischer Luft erholen zu können, soll hier beschnitten werden.”

Während andere Stellen versuchen für die Bewohner Freibäder zu schaffen, geht man in Oranienburg dazu über, diesen Genuss der eine Notwendigkeit für die Arbeiterbevölkerung ist, zu Gunsten einer kleinen Schicht zu entziehen. Die Mitglieder des Deutschen Fabrikarbeiter-Verbandes am Orte sehen in dem Beschluss eine kulturreaktionäre Handlung schlimmster Sorte und protestieren auf das Entschiedenste dagegen. Der Deutsche Verkehrsbund, Ortsverwaltung Oranienburg sprach in seinem Schreiben (ohne Datum) direkt die Abgeordneten an: „Genannter Verein warnt die bürgerlichen Stadtverordneten diesen Beschluss zur Durchführung zu bringen. Sollte unsere Warnung keinen Erfolg haben, so sehen wir uns genötigt, bei der Kommunalwahl im Dezember 1929 alle Mittel in Anwendung zu bringen, um Vertreter, welche auch noch Luft und Sonne an Erholungsstätten nur gegen Bezahlung abgeben, das Handwerk zu legen, und dafür Sorge zu tragen, das Männer als Stadtverordnete gewählt werden, welche auch der arbeitenden Bevölkerung Interesse entgegen bringen.“ Das Ergebnis der Auseinandersetzungen kennen wir  – auf den Bau einer kommerziellen Badeanstalt wurde verzichtet. Das Freibad aber erfuhr in den nachfolgenden Jahren zahlreiche Verbesserungen und erhielt 1934 sogar eine Wasserrutsche.