Lehnitzer Gemeindebibliothek – Vorzeigeobjekt des Kreises Oranienburg

Besuch in der Lehnitzer Gemeindebibliothek – Vorzeigeobjekt des Kreises Oranienburg

Von Bodo Becker

Heute Fahrschule, damals Bibliothek (Archiv Bodo Becker)

Heute Fahrschule, damals Bibliothek (Archiv Bodo Becker)

Das abgelichtete Haus ist noch heute ein Ort der Bildung – der Führerscheinbildung! Es hat bereits eine lange Geschichte hinter sich, denn vor über fünfzig Jahren, am 9. November 1960, weihte es die Gemeinde Lehnitz als Bibliotheksgebäude ein. Doch die eigentliche  Bibliotheksgeschichte hatte schon früher begonnen. Sie lag in einer Zeit der materiellen und kulturellen Not, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Gemeindevertreter konstituierten einen dreiköpfigen Kultur-Ausschuss. Der setzte auf der ersten Sitzung am 22. Juli 1947 die Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek unter der Anleitung des „Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands“ als einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine so genannte Wirkungsgruppe des Kulturbundes im Ort, die unter dem Vorsitz des Architekten und Bühnenbildners Leo Einzig stand. Die Gruppe nahm für sich in Anspruch, „das kulturelle Leben im fortschrittlichen Sinne neu zu gestalten… und mit wirklicher Breitenarbeit, den arbeitenden Menschen erholsame und fördernde Stunden zu bieten.“ So in einer Resolution an den Bürgermeister und den Gemeinderat vom 1. Juli 1948.

In der an öffentlichen Unterhaltungsmedien armen Zeit (viele noch vorhandene Radioapparate waren in den ersten Friedenstagen 1945 von Angehörigen der Roten Armee „konfisziert“ worden) war das Lesen am Feierabend die oftmals einzige geistige Zerstreuung. Damit hier die kulturpolitisch richtige Literatur den Lesern zur Verfügung stand, hatte die SED-Ortsgruppe im September 1947 auf Antrag des Lehnitzer Kulturbundes ihre Bücher für die Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek übergeben.

1953 zog sie in das Erdgeschoss des damaligen Hauses der Gemeindeverwaltung am Birkenwerderweg. In einem lang gestreckten Raum standen die Regale mit den Büchern, vor denen die ehrenamtliche Bibliotheksleiterin Gertrud Jacob an einem Schreibtisch mit Katalog- und Ausleihkasten saß. Bei Frau Jacob gab man seine Wunschtitel auf einem Bestellschein ab, die man am nächsten Öffnungstag dann abholen konnte. Der Bücherbestand war anfangs noch bescheiden, jedoch nahm er rasch zu. Zur schöngeistigen deutschen Literatur bis 1933 kamen auch die ersten Nachkriegsausgaben der aus Nazideutschland emigrierten Schriftsteller wie z.B. Anna Seghers, Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht,  Johannes R. Becher und Lion Feuchtwanger. Groß war auch die Auswahl an Kinder- und Jugendliteratur. „Die Jagd nach dem Stiefel“ (1953); „Alfons Zitterbacke“ (1962) oder die Indianergeschichten von Liselotte Welskopf-Henrich und die Tiermärchen von Friedrich Wolf gehörten zu den Lieblingsbüchern junger Leser jener Zeit. Natürlich fehlten nicht eine Gesamtausgabe der Klassiker des Marxismus-Leninismus und sowjetische Literatur.

Ende der 1950er Jahre benötigte die Verwaltung den Raum, so dass man sich nach einer neuen Stätte umsehen musste. Die fand man nur wenige Meter vom alten Standort entfernt in einem im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ von Handwerkern instandgesetzten Gebäude. Das groß dimensionierte, aus der Hausfront vorgeschobene Blumenfenster zog die Blicke der Vorübergehenden auf sich und verriet schon etwas von der funktionellen Innengestaltung. Mit dem großzügig gestalteten Ausleih- und Freihand-Bereich sahen die hauptamtlichen Kulturpolitiker in der Einrichtung ein „Vorzeigeobjekt“ für eine nebenberufliche Bibliothek im damaligen Kreis Oranienburg. Im November 1969 besuchte der Direktor der kubanischen Nationalbibliothek die Gemeindebibliothek. Frau Jacob informierte kompetent die Gäste über die Bibliotheksarbeit in einer kleinen Gemeinde. Dreißig Jahre lang konnten sich lesehungrige LehnitzerInnen hier mit Literatur versorgen. Nach mehreren Umzügen gab die Stadtbibliothek Oranienburg die Bücherausleihe 2013 im Ort auf. Heute organisieren vier Ehrenamtlerinnen die kostenlose Büchertauschbörse jeden Dienstag im Vorderhaus des Kulturhauses „Friedrich Wolf“. Besondere Zustimmung finden sie dabei bei der jüngsten und jüngeren Leserschaft.