Gestrandet – Moby Dick auf dem Lehnitzsee

Von Bodo Becker

Er ist schon ein spektakulärer Hingucker – der Moby Dick der Berliner Stern- und Kreissschifffahrt, der da am Freitagabend, dem 4. Juni 1993, gegen 21.45 Uhr bei einem Wendemanöver auf einer Sandbank strandete.

„Plötzlich gab es einen Ruck. Es war als ob jemand die Notbremse in der S-Bahn zieht. Der Diskjockey musste sogar seine Boxen festhalten“,

beschrieb einer der 146 Passagiere die Havarie. Zwei Stunden versuchte der Kapitän vergeblich, das Schiff aus eigener Kraft freizubekommen. Auch ein polnischer Lastkahn konnte den 48 Meter langen, acht Meter breiten und 220 Tonnen schweren „Wal“ nicht wieder zum Schwimmen bringen. Dreimal rissen die Trossen. Die Fahrgäste blieben zunächst uninformiert.

Der hell erleuchtete „weiße Wal“ lag romantisch im glitzernden Wasser des nächtlichen Lehnitzsees; die Diskothek spielte unter Deck; es gab einen Showteil und eine Tombola (1. Preis eine Kreuzfahrt!); die Gäste tanzten und amüsierten sich, als ob nichts geschehen wäre. Fast so, wie beim großen Vorbild Titanic im Jahre 1912. Um 22.25 Uhr ging bei der Wasserschutzpolizei (WPS) Lehnitz folgender Anruf ein: „Sehen Sie doch mal auf den See. Da ist ja Tumult.“ Versuche der Beamten, den Kapitän über Funk zu erreichen, scheiterten. Moby Dick schwieg! Nach 20 Minuten konnte man den Kapitän endlich kontaktieren, der den Vorfall dann schilderte.  Es waren Wasserschutzpolizisten, die die Passagiere vor Mitternacht über ihre Seenotsituation informierten. Diese nahmen die  zwangsweise Verlängerung ihrer Schiffsfahrt, sie sollte eigentlich um 23.30 Uhr in Tegel enden, mehrheitlich mit gelöster Stimmung hin (Getränke gab es nun gratis). Bis 2.30 Uhr beförderte die WSP Lehnitz alle Passagiere ans Lehnitzer Ufer zu den bereitstehenden Taxen. Gegen 3 Uhr morgens kehrte Ruhe auf dem See ein. Damit hatte das Seenotabenteuer auf dem Lehnitzsee für die Passagiere bis zum frühen Morgen ein gutes Ende gefunden.

Moby Dick auf dem Lehnitzsee (Archiv B. Becker)

Moby Dick auf dem Lehnitzsee (Archiv B. Becker)

Anders für den Kapitän und den Decksmann, bei denen man Alkohol im Blut nachwies. Sie wurden von ihrem Arbeitgeber entlassen. Bei Tageslicht konnte man die Ursachen für die Havarie schnell ermitteln. Bei dem Wendemanöver hatte die MS Moby Dick durch einen Steuerfehler die mit roten Bojen gekennzeichnete Fahrrinne verlassen und war mit ihrem 1,40 Meter Tiefgang auf die nur 75 Zentimeter flache Sandbank gegenüber dem Oranienburger Badestrand gestrandet. Hier und auf der Lehnitzer Uferseite herrschte an den Tagen bis zur Bergung ausgelassene Volksfestatmosphäre. Schaulustige bestaunten den gestrandeten „Wal“, der hundert Meter weit draußen dümpelte. Sogar aus Marzahn reiste eine Familie an, um die Attraktion auf dem Wasser zu beobachten. Tret- und Paddelboote umkreisten den festsitzenden weißen „Wal“. Eine Wache achtete darauf, dass niemand das Schiff betrat. Derweil machten sich die Verantwortlichen Gedanken über eine zeitnahe Bergung des Schiffes. Ein Freibaggern kam wegen möglicher Blindgänger im Seeboden nicht in Frage. Taucher des Potsdamer Tauch- und Bergungsunternehmens brachten an jeder Seite des Schiffes acht Hebeballons an. Auf einem mit dem Schiff fest verbundenen Ponton befanden sich zwei Seilwinden, die wiederum mit zwei eingeschwemmten Spezialankern aus Duisburg über 200 Meter lange Stahlseile verbunden waren. Die mit Pressluft gefüllten Hebeballons hoben das Schiff langsam gleichmäßig an, während die Seilwinden es von der Sandbank rückwärts zogen. Unter dem Beifall hunderter Zuschauer schwamm Moby Dick nach 20 Minuten Bergung um 15.50 Uhr am Donnerstag, sieben Tage nach der Strandung, wieder frei.

Er kam nach Malz in die Werft zur Durchsicht.