Nico Rost – ein aufrechter Schriftsteller in Lehnitz (Lehnitzer Zeitgeschichte des 20. Jhs)

Nico (Nicolaas) Rost – ein aufrechter Schriftsteller in Lehnitz
Von Bodo Becker

Nico Rost mit seinem Sohn Tyle im Winter 1928/29 vor dem "Knausschen Haus am Gutsplatz

Nico Rost mit seinem Sohn Tyle im Winter 1928/29 vor dem “Knausschen Haus am Gutsplatz (OGA12.01.16, Archiv Bodo Becker)

Das vorliegende Foto ist ein Schnappschuss, der in zweierlei Hinsicht eine interessante Quelle für die Lehnitzer Geschichte und darüber hinaus darstellt. Da ist zunächst der Hintergrund mit dem romantisch anzusehenden Haus am damaligen Gutsplatz 4. Hier wohnte Otto Knauß, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Hobby-Maler Lehnitzer Häuser und Natur auf seinen Aquarellen verewigte. Im Focus stehen jedoch die beiden abgelichteten Personen. Der Einkaufsbeutel in der einen und die Schlittenschnur in der anderen Hand des Mannes unterstreichen den Zufallscharakter des Fotos. Es handelt sich um den Niederländer Nico Rost mit seinem Sohn Tyle im Winter 1928/29, wie eine Beschriftung auf der Rückseite mitteilt. Rost, kommunistischer Publizist und Schriftsteller, wohnte nachweislich spätestens von 1925 bis 1933 im Haus der Familie Knauß zur Miete. Der 1896 in Groningen geborene Sohn aus bürgerlichem Elternhaus ging 1923 in die Kulturmetropole Berlin, wo er als Übersetzer deutscher Literatur, Literaturkritiker und als Kulturkorrespondent niederländischer Zeitungen arbeitete.

Sein publizistisches Schaffen brachte ihn in Kontakt zu zahlreichen Schriftstellern wie Egon Erwin Kisch, Gottfried Benn, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Carl EinsteinElse Lasker-Schüler, Joseph RothBertolt Brecht und Alfred Döblin, dessen bekannten Roman „Berlin Alexanderplatz“ er ins Niederländische übertrug. Der intellektuelle Antifaschist geriet schon früh in das Fadenkreuz der Nazis. Als Polizei und SA am 28. Februar 1933 im Gefolge des Reichstagsbrandes auch in Lehnitz Verhaftungen und Hausdurchsuchungen durchführten, wollen sie „zentnerschwere Propagandamaterialien“ (so der Briesetal-Bote vom 02.03) bei ihm beschlagnahmt haben. Am 1. März schrieb eine gut informierte Denunziantin aus dem Wohnumfeld einen Brief an die Politische Polizei in Berlin. Darin teilte sie u.a. mit, dass Rost zwei Zimmer mit Einrichtung „im russischen Stil“ bewohnt und dort auch Bilder der „bolschewistischen Führer Stalin etc.“ hängen. „Er versucht auch, bolschewistische Bücher und Zeitschriften in seinem Bekanntenkreise zu verbreiten. Sendet manchmal Boten nach dem Bülowplatz (bis 1933 steht hier die Parteizentrale der KPD, heute Rosa-Luxemburg-Platz). Auch hält er seine Bekannten dazu an, bolschewistische Stücke zu besuchen“, führte sie weiter aus.

Zusätzlich erwähnenswert erschienen ihr Rosts Besuche im Romanischen Café (bis 1933 bekannter Treffpunkt von Intellektuellen und Künstlern) in unmittelbarer Nähe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Für die Ortspolizei, unterstützt von SA-Hilfspolizisten, reichte dies aus, den politisch unbequemen Ausländer wegen „Umgangs mit Juden und Marxisten“ am 21. März in das Konzentrationslager Oranienburg einzuliefern. Auf Betreiben eines niederländischen Korrespondenten in Berlin entließ man ihn jedoch am nächsten Tag wieder. Mitte April nahmen Angehörige der SA-Standarte 208 Rost erneut fest und brachten ihn in das Konzentrationslager an der Berliner Straße. Nach Intervention der niederländischen Botschaft und des Verbands der Auslandskorrespondenten in Berlin kam er im Mai 1933 wieder frei. Am Abend der Freilassung besuchte ihn der Lehnitzer NSDAP-Führer Seyring in seiner Wohnung und legt ihm nahe, einige „objektive“ (gemeint ist im Sinne der Nazi-Regierung) Artikel für Berliner Zeitungen zu verfassen. Nachdem Rost dies ablehnte, musste er Mitte des Jahres Deutschland verlassen. Vorher erlebte er als Augenzeuge die Bücherverbrennung am 10. Mai auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz). Noch 1933 erschien in Amsterdam sein Erlebnisbericht über das Konzentrationslager Oranienburg: De Brouwerij van Oranienburg. Een concentratiekamp in het Derde Rijk. Es war die erste authentische Veröffentlichung über ein nationalsozialistisches Konzentrationslager. Bis zu seiner Festnahme im Mai 1943 im besetzten Belgien beteiligte sich Rost aktiv am Untergrundkampf gegen das deutsche Okkupationsregime in Westeuropa seit 1940. Er kam in das Gestapogefängnis in Scheveningen, von dort ins das Konzentrationslager Herzogenbusch (niederländisch: Kamp Vught).

1933_Auszug aus der Kartei des Konzentrationslagers Oranienburg Häftlings-Kartei des KL Oranienburg. BLHA Rep. 35 G 3 29, Bl. 187

1933_Auszug aus der Kartei des Konzentrationslagers Oranienburg Häftlings-Kartei des KL Oranienburg. BLHA Rep. 35 G 3 29, Bl. 187

Ab Juni 1944 befand er sich im Konzentrationslager Dachau. Hier schrieb er in höchster Lebensgefahr bis zur Befreiung im April 1945 ein Tagebuch. Seine auf Zetteln und Papierfetzen festgehaltenen Eindrücke vom Alltag im Konzentrationslager konnte er nur mit Hilfe von Mitgefangenen vor den Aufsehern verstecken. Immer wieder kreisten Rosts Gedanken in seinen Aufzeichnungen um die Werke von deutschen Dichtern, die ihm wichtig waren, darunter auch und vor allem Grillparzer, Goethe, Schiller, Herder und Hölderlin. Lesen und Schreiben bedeutete für den an einem Ort des Schreckens inhaftierten Geistesarbeiter nicht nur die Fortführung des literarischen Widerstandes inmitten des Grauens, sondern auch innere Zuflucht und Antrieb zum Überleben. Das Buch erschien 1948 beim Verlag Volk und Welt unter dem Titel „Goethe in Dachau“ mit einem Vorwort von Anna Seghers erstmals in Deutschland. In der Folgezeit vertiefte Rost seine beruflichen Kontakte zur DDR, arbeitete im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und als Redakteur des Verlages Blick nach Polen.

Heftige Vorwürfe in einer Rezension über Rosts vermeintliche “preußische Arroganz” und “polenfeindliche Propaganda” in seinem Dachau-Tagebuch brachten für ihn und seiner Frau Edith einschneidende Konsequenzen: 1950/51 standen sie unter Beobachtung der Staatssicherheit. Dennoch blieb Rost in der DDR, ließ sich, trotz aller Widrigkeiten, sogar seine Bibliothek aus Belgien nachschicken. In jener Zeit bereiteten die Lehnitzer Gemeindeverwaltung und Vereine das 600. Ortsjubiläum vor und erinnerten sich dabei auch des nunmehr bekannten Mitbewohners vor mehr als zwei Jahrzehnten.

Offenbar noch ohne Kenntnis von den stalinistisch motivierten Auseinandersetzungen um Rost, beriefen sie ihn neben weiteren prominenten Einwohnern, wie Friedrich Wolf (damals gerade erster Botschafter der DDR in Polen), in das 1950 gebildete Ehrenkomitee. Rost lebte mit seiner Frau zu diesem Zeitpunkt im brandenburgischen Schloss Wiepersdorf, wo beide das Archiv und die Bibliothek des Schriftstellerehepaars der Romantik, Achim und Bettina von Arnim, aufarbeiten sollten. Viel Zeit ließ man ihnen dafür nicht, denn im März 1951 verhaftete man Nico Rost, konfiszierte seine gesamte Habe und wies das Ehepaar in die Niederlande aus. 1955 besuchte Rost das ehemalige Konzentrationslager Dachau, wo er zu seinem Entsetzen feststellen musste, dass dort, wo einstmals mehr als 200 000 Menschen gefangen waren, von denen über 31 000 zu Tode kamen, mittlerweile Flüchtlinge in den Baracken lebten und nichts mehr an die NS-Gräuel erinnerte. Seine engagierte Reportage trug schließlich entscheidend mit dazu bei, dass in Dachau eine würdige Gedenkstätte für die Nazi-Opfer entstand.

Nach 1956 zog er sich zunehmend aus der politischen Arbeit zurück. In der Folgezeit kam es zu Differenzen mit politischen Wegbegleitern und Freunden, auch der einst enge Kontakt zu Anna Seghers riss ab. Im Jahre 1967 starb Nico Rost in Amsterdam.

Bild Ron Kroon ANEFO Nationaal Archief. Nico Rost

Bild Ron Kroon ANEFO Nationaal Archief. Nico Rost