Lehnitzer Geschichten: Ein Ausflug nach Lehnitz 1928

Ostern 1928 – ein Ausflug von Berlin zum Lehnitzsee

Von Bodo Becker

Haben Sie ihren Osterausflug schon geplant? Die abgebildeten, erwartungsfrohen Familien haben sich zu Ostern des Jahres 1928 für eine Schiffsfahrt von der Anlegestelle der Reederei Paul Tempelhof in Berlin-Plötzensee zum Lehnitzsee entschieden. Ihr Schiff, die Feenlob, kann 337 Fahrgäste aufnehmen und ist augenscheinlich voll besetzt. Das Wetter an diesem 2. Aprilwochenende zeigt sich von seiner besten Seite

Foto 1928. Archiv B. Becker

Foto 1928. Archiv B. Becker

Pünktlich legt die Feenlob um 9.00 Uhr ab und gleitet langsam mit monotonem Motorgeräusch auf dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal in Richtung Havel. Wie mit einem Lineal gezogen verläuft die nach den Planungen von Peter J. Lenné 1848 bis 1859 als Spandauer Kanal angelegte Wasserstraße, die seit 1914 Teil des Hohenzollernkanals ist. Wenige hundert Meter nach dem Unterfahren der Mäckeritzbrücke (erbaut 1910) zweigt in Fahrtrichtung links der alte Kanallauf (Alter Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal genannt) ab. Der macht bei Haselhorst einen scharfen Bogen in Richtung Tegeler See, was das Passieren größerer Frachtschiffe nur schwer ermöglicht hätte. Für den Hohenzollernkanal schuf man darum einen Durchstich, der mit nahezu geradem Lauf in die Havel mündet. So wurde das 1910 von der Firma Siemens erworbene Industrieareal zur Gartenfelder Insel. Durch seine Lage abseits des regen Schiffsverkehrs wächst der alte Kanal nun allmählich wieder zu. Die Feenlob bleibt auf dem neuen Kanallauf und die Fahrgäste haben eine gute Aussicht auf die umgebende Industrie- und Naturlandschaft.

Siemens Kabelwerk in den Vorstellungen eines Künstlers, um 1900. Repro B. Becker

Siemens Kabelwerk in den Vorstellungen eines Künstlers, um 1900. Repro B. Becker

Auf der linken Seite (Gartenfelder Insel) steht das Kabelwerk der Firma Siemens (erbaut 1912); rechter Hand erstreckt sich das schöne Landschaftsbild des Jungfernheideparks. Er entstand in den Jahren 1920 bis 1926 nach den Plänen des Charlottenburger Gartendirektors Erwin Barth als Landschaftspark, angelegt von Arbeitslosen im Notstandsprogramm. Nach wenigen Minuten erreicht unser Schiff die Havel zwischen dem Spandauer See im Süden und dem nordöstlich gelegenen Tegeler See. Inmitten des regen Freizeit- und Berufsschiffsverkehrs sieht man hier die legendären Havel-Schwäne. Sie sollen ihren Ursprung am Hof des Preußenkönigs Friedrich II. (Alter Fritz) besitzen. Von der in Richtung Tegelort fahrenden Feenlob können die Fahrgäste für kurze Zeit in beide Havelseen blicken. Besonders reizvoll anzusehen, sind die Inseln an der Öffnung zum Tegeler Sees. Die bekannteste von ihnen ist Scharfenberg mit dem 1922 gegründeten Reformgymnasium Schulfarm Insel Scharfenberg. Für die restliche Strecke bis zum Lehnitzsee nutzt der Hohenzollernkanal nun die kanalisierte Havel. Häufig sieht man noch Altarme, die an romantische Spreewaldkanäle erinnern. Bis zum Nieder-Neuendorfer See verbreitert sich die Havel mehrmals, um dann ab Hennigsdorf recht schmal zu werden.

Stahl- und Walzwerk an der Havel, 1930er Jahre. Archiv B. Becker

Stahl- und Walzwerk an der Havel, 1930er Jahre. Archiv B. Becker

Hier lenken links die Lokomotivenfabrik der A.E.G. und das Stahl- und Walzwerk die Aufmerksamkeit auf sich. Vorbei am Gasthaus Zum weißen Schwan (erbaut 1892) in Hohenschöpping und an der Havelbaude (eröffnet 1925) in Hohen-Neuendorf erreichen wir gegen Mittag unser Ziel. Kurz vorher hat uns die Havel nach Oranienburg hin verlassen. Noch am rechten Ufer des Hohenzollernkanals, zwischen der Lehnitzer Brücke und der Nord- und S-Bahn-Brücke, liegt die Anlegestelle des Restaurants Lehnitzsee am Gutsplatz.  Das folgende Restaurant Strandhalle, bereits am Oranienburger Ufer des Lehnitzsees gelegen, lädt ebenfalls zum Anlegen ein. Von der Seemitte erkennt man den weißen Strand des Oranienburger Freibads und die hölzerne Badeanstalt Seebad Lehnitz. Nun sind es nur noch 15 Minuten bis zum Terrassenrestaurant Zum Seelöwe am Lehnitzer Ufer, wo die Feenlob mit vier Schiffen zugleich anlegen kann. Von hier genießen die Gäste den Ausblick auf das Wasser mit dem regen Boots- und Schiffsverkehr. Im Norden, vor der Lehnitzer Schleusenbrücke, verlässt der Hohenzollernkanal den Lehnitzsee, um seinen Weg bis zur Oder fortzusetzen.

Postkarte, Mitte der 1930er Jahre. Archiv. B. Becker

Restaurant Seelöwe, Mitte der 1930er Jahre