Der schlafende Tod im Erdreich

Gefährliche Erbschaft eines lange vergangenen Krieges – der schlafende Tod im Erdreich

Von Bodo Becker

Die gegenwärtigen Bombenentschärfungen mit den aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen riefen mir die Selbstdetonation einer Bombe in Lehnitz ins Bewusstsein zurück. Können Sie sich an Tag und Jahr erinnern, ohne dass Sie unmittelbar betroffen waren? Ich konnte es nicht und musste darum mein Archiv bemühen.

Abb. 1-4. Archiv B. Becker

Die Fotografie hält nur die Verwüstungen fest, die am 4. Dezember 1991 gegen 16.30 Uhr im Forstring, Höhe Zugangsstraße Am Hag, von der Detonation verursacht wurden: Ein unbewohnbares Haus und ein mit Grundwasser gefüllter Krater von ca. 15 Meter Durchmesser und sechs Meter Tiefe. Die verletzten und traumatisierten Menschen, die hohen materiellen Schäden und die noch lange nachwirkenden Ängste sind hier nicht sichtbar. Als „schlafende“ Zeitbombe hatte die vermutlich 250 kg schwere Bombe, versehen mit einem chemischen Langzeitzünder, seit 46 Jahren unter der Straße gelegen. Aus dem Gedächtnis der meisten älteren Anwohner war der Blindgänger aus den letzten Kriegswochen längst verdrängt, jedoch die perfide Konstruktion des Langzeitzünders erfüllte ihren Auftrag auch nach fast einem halben Jahrhundert noch zuverlässig. Die Druckwelle, umherfliegende Metallsplitter und Pflastersteine verletzten drei Einwohner schwer und beschädigten Häuser im Umkreis von etwa 400 Metern. Noch Minuten nach der Explosion lag der Geruch von Pulverdampf in der Luft. Ein völliger Stromausfall erschwerte zunächst die Bergungsarbeiten der nach wenigen Minuten herbei geeilten Feuerwehren, Polizei und SMH in der hereinbrechenden Dunkelheit.

Abb. 2. Zeitungen berichten über das Geschehen. Archiv. B. Becker

Die Scheinwerfer der Polizei versetzten die Verwüstungen in gleißendes Licht und gaben der ganzen Szenerie vor dem schwarzen Hintergrund ein gespenstisches Aussehen. Eine noch unter Schock stehende Anwohnerin berichtete von den Schrecksekunden: „Das ganze Haus hat gewackelt. Dann ging das Licht aus. Zwei Steine sind durch das Dach geschlagen. Einer flog in den Schuppen.“ Hans-Werner Effer befand sich zum Zeitpunkt der Detonation wie jeden Tag mit seinem Hund gerade auf der Straße zum „Gassi gehen“, als sich plötzlich zehn Meter vor ihm mit gewaltigem Knall und zuckendem Lichtblitz die Straße auftat. „Ich habe mich sofort zusammengerollt und wurde zugeschüttet, habe kleine Steine abbekommen“, schilderte Effer das Geschehen. Weder er noch sein Hund haben Verletzungen erlitten, was er als ein Wunder ansah. Nicht alle hatten so viel Glück. Drei Anwohner wurden in ihren Gärten schwer verletzt, ein Mann musste per Rettungshubschrauber nach Buch gebracht werden. Größte Gefahren für die Umgebung gingen von den in allen Richtungen fliegenden schweren Pflastersteinen aus. Sie durchschlugen Dächer, landeten in bewohnten Räumen – einer sogar auf den leeren Kassenstuhl einer nahen Verkaufsstelle. Die 14jährige Manuela Wegener saß im Wohnzimmer am Tisch, um ihre Schularbeiten zu erledigen. Ein acht Kilogramm schwerer Stein durchschlug die Decke und riss ihr eine tiefe Wunde in den Oberschenkel.

Abb. 3

Die Gemeindeverwaltung registrierte noch 80 Schadensmeldungen mit einem geschätzten Gesamtschaden von 860.000 DM. Fünf ältere Bürger wiesen auf mögliche Verdachtspunkte im Ort hin.

Kehren wir zum Anlass unseres Beitrages zurück. Das aufgezeigte Geschehen sollte uns veranlassen, den Mitarbeitern des Munitionsbergungsdienstes höchste Anerkennung und Respekt für ihre gefährliche Arbeit im Dienste der Allgemeinheit entgegen zu bringen.

Abb. 4