Weihnukka in Lehnitz

„Weihnukka“ – ein Beispiel jüdisch-christlicher Wechselseitigkeit. Das jüdische Lichterfest 1935 in Lehnitz.

Von Bodo Becker

2019 fällt das Chanukkafest (auch Lichterfest) auf die Tage vom 23. bis zum 30. Dezember. Bereits am Vorabend wird das erste Licht angezündet. In diesem Jahr brennt darum am 26. Dezember das fünfte Licht an einem neunarmigen Leuchter neben der Oranienburger Bibliothek, in Sichtweite des Weihnachtsbaumes auf dem Schlossplatz, nach Einbruch der Dunkelheit. Er symbolisiert den Chanukkaleuchter, dessen Kerzen zum Chanukkafest nach einem festen Ritual täglich nacheinander angezündet werden. Das Fest erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem nach dem siegreichen Aufstand der Makkabäer gegen die Fremdherrschaft der Syrer im Jahre 167 vor Christi Geburt. Hellenisierte Juden hatten hier den olympischen Göttervater Zeus gottesgleich verehrt. Nach der Überlieferung fanden die Juden nur so viel rituell reines Olivenöl vor, das es der siebenarmigen Menora (Leuchter in Baumform) lediglich einen Tag lang zum Brennen gereicht hätte. Das Feuer durfte jedoch niemals erlöschen und die Herstellung eines neuen geweihten Öls hätte acht Tage gedauert. Trotzdem brannte die Menora volle acht Tage und an dieses Wunder erinnern der Chanukkaleuchter und das Chanukkafest.

Abb. 2. Chanukkaleuchter für die Familienfeier. Foto: B. Becker

Für das Judentum besaß das Fest bis in das 19. Jahrhundert hinein nur eine geringe religiöse Bedeutung. Erst mit dem Aufkommen des Zionismus, der nationaljüdischen Bewegung für einen jüdischen Staat, forderte es auf Grund seines historischen Hintergrunds zur Selbstvergewisserung der nationalen und religiösen Identität heraus. Das führte in paradoxer Weise durch die zeitliche Nähe zum christlichen Weihnachtsfest bei den schon seit vielen Jahrhunderten in Mittel- und Westeuropa lebenden Juden zu einer Beeinflussung des Festgeschehens. Einige Bestandteile des Weihnachtsfestes als Familien- und Kinderfest wurden für Chanukka übernommen. Dazu gehörten u.a. das Schenken, die Gemeindefeiern oder auch öffentliche Chanukka-Konzerte. Assimilierte jüdische Familien feierten sogar Chanukka und Weihnachten, ohne darin einen Widerspruch zur ihrer jüdischen Herkunft zu sehen.

Abb. 2. Untertitel: „Und Dir als Blau-Weißem hat der Weihnachtsmann eine Menorah geschenkt.“ Blau und Weiß sind die traditionellen Farben des Zionismus.

Karikatur aus dem „Schlemiel : jüdische Blätter für Humor und Kunst“, Dezember 1919.

Die antijüdische Terrorpolitik der Nazis nach 1933 beendete diese christlich-jüdische Wechselseitigkeit zunächst nicht unmittelbar. Mussten sich doch viele jüdische Deutsche ihrer religiösen Herkunft erst wieder bewusst werden. Das betraf auch die Familie von W. Michael Blumenthal (1926 in Oranienburg geboren, Ehrenbürger der Stadt), der seit 1936 die jüdische Private Waldschule Kaliski in Dahlem besuchte. Im Religionsunterricht kam er mit dem Judentum und den jüdischen Feiertagen näher in Kontakt. Hier hörte er auch zum ersten Mal etwas von Chanukka und den dazugehörigen Zeremonien, wie dem Licht anzünden. Die Konsequenzen in seiner Familie beschreibt Blumenthal folgendermaßen: „Als ich dann eines Tages zuhause erzählte, ich könnte das jetzt alles fein vorsingen und als Juden sollten wir doch Chanukka feiern, fanden das meine Eltern zwar merkwürdig, aber auch sie fühlten sich wegen der Umstände wieder mehr jüdisch und stimmten zögernd zu. Also erschien 1937 bei uns ein Chanukka-Leuchter, ich sang den Segen und jeden Tag wurde eine Kerze angezündet. Aber der Weihnachtsbaum wurde deswegen nicht abgeschafft. Somit hatten wir beides – presto: Weihnukka!“ (Vgl. Blumenthal, W. Michael: Wie ich Weihnukka Hitler zu verdanken habe. – In: Weihnukka. Geschichten von Weihnachten und Chanukka. – Berlin, 2005. S. 17-20)

Abb. 3. Kinder beim Gottesdienst im Lehnitzer Synagogenraum, um 1935. Foto: Archiv B. Becker

Das Jüdische Erholungsheim in Lehnitz legte besonderen Wert auf die Pflege der jüdischen Religion und jüdischen Kultur. Eine ausführliche Darstellung der zwei Chanukka-Kindertage im Dezember 1935 gibt darüber Auskunft. Sie bildeten den Abschluss der Festwoche. Die Schülerinnen der Hauswirtschaftsschule bereiteten den Festablauf und die –inhalte sorgfältig vor. Sie wollten keine übliche Chanukka-Feier, sondern gemeinsam mit den Erwachsenen Bastelarbeiten, Erzählungen und Spiele organisieren. Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Herstellung von Chanukkaleuchtern durch die Kinder. Am Abend konnten zur Freude der Anwesenden 900 Kerzen auf der langen Kindertafel angezündet werden. Es folgten gemeinsamer Gesang, Erzählungen über den historischen Hintergrund der Feiertage und ein Märchenspiel der Schülerinnen. Mit Spielen und Singen klang der Tag aus. Um bei den Kindern die Besonderheit des Festtages zu verstärken, hatte man alle Uhren heimlich um eine

Stunde vorgestellt. Am nächsten Vormittag bastelten die Kinder Kreisel, mit denen spielend Nüsse und Süßigkeiten gewonnen werden konnten. Im Freien improvisierten sie unter Anleitung der Schülerinnen kleine Theaterstücke, die ihren Abschluss mit einer Kuchentafel und gemeinsamen Gesang fanden. Obwohl es erst im Sommer bösartige antijüdische Ausschreitungen vor dem Haus gegeben hatte, betont der Bericht die ruhigen und harmonischen Bedingungen der Lehnitzer Umgebung für die Festtage. Drei Jahre später, am Novemberpogrom 1938, zwang man die Gäste des Hauses zur Flucht aus Lehnitz.

Der Chanukkaleuchter neben der Bibliothek in Oranienburg im Jahre 2018. Foto: B. Becker