Kleine Zeitreise – Osterwanderung 1905

Osterwanderung 1905: Durch die Oranienburger Neustadt um den Lehnitzsee zum Bahnhof Lehnitz. Teil 1. Über die Gleise der Nordbahn bis zum Chausseehaus

Von Bodo Becker

Am Ostermontag, es ist der 24. April, lockt das Wetter viele Einheimische und angereiste Hauptstädter hinaus in die bunte Frühlingsflora. Zu ihnen gehört auch Carl Reim, seit 1897 Lehrer am Königlichen Lehrerseminar im Schloss. Mit einigen Seminaristen des neuen Studienjahres möchte er um den Lehnitzsee wandern. Sie durchlaufen zunächst die Bernauer Straße bis zum Übergang der Nordbahn, hinter dem sich die Königsallee anschließt. Bis nach 1870 hieß die Straße noch schlicht Allee. Dieser Name rührte aus der Zeit Louise Henriettes her, die den mittelalterlichen Knüppeldamm in den Barnim im Frühjahr 1654 zum Zwecke der besseren Fernsicht bis zum Lehnitzsee verbreitern ließ. Zwei Reihen Lindenbäume an jeder Seite sollten den Alleencharakter unterstreichen, trägt der Lehrer vor.

Als Königsallee durchläuft sie nun das im Entstehen befindliche neue Stadtgebiet. Gleich am Anfang liegen zwei Einrichtungen. Aus unterschiedlichen Gründen stoßen sie auf besonderes Interesse der Seminaristen. Links, im Haus von Tischlermeister Fritz Paeske, befindet sich die Höhere Privat-Mädchenschule. Auch hier beginnt nach Ostern das neue Schuljahr. An der Straßenseite gegenüber lädt, umgeben von einem großen Biergarten, das Restaurant Schützenhaus mit einem Festsaal, einer Kaffeeküche und zwei Tennisplätzen ein. Reim erinnert die Seminaristen bei dieser Gelegenheit an das für sie geltende Gaststättenverbot. Nicht nur das frische Grün der Straßenbäume erfreut die vielen Spaziergänger, auch die neu errichteten Mietshäuser in der vielgestaltigen Architektur des Historismus ziehen die Blicke auf sich.

Aber noch gibt es zahlreiche unbebaute Grundstücke. (Das Adressbuch für Oranienburg und Umgebung von 1906 weist für die Königsallee von 64 Grundstücken nur 23 als bebaut aus.) Die Kurfürstenstraße (André-Pican-Straße) wird überquert und nachfolgend biegt die Gruppe in die Bismarckstraße (Heidelberger Straße) ein, auf der sie nach wenigen Minuten die Kreuzung mit der Seestraße (Ludwigshafener Straße) erreicht. Hier steht das jüngste Denkmal der Stadt – der Bismarckbrunnen.

Bewegt berichtet Reim von der eindrucksvollen Einweihung im Beisein zahlreicher Bürger und Ehrengäste, der städtischen Vereine und Schulen am 2. September 1903. Ein Bronzerelief zeigt den Reichsgründer in Lebensgröße an der Vorderseite eines Granitblockes. Nach dieser patriotischen Einlage zieht es die Seminaristen an den Lehnitzsee. Entlang an schmucken Vorstadtvillen auf beiden Seiten der Seestraße sind sie schnell am Ziel.

Unmittelbar am See steht die großzügige Anlage des Restaurants Strandhalle, das seinen Namen nach dem am Ufer liegenden Pavillon trägt. Auch hier viele Ausflügler, die aus Oranienburg gelaufen oder mit einem Boot gekommen sind und es sich nun im Biergarten gut gehen lassen. Doch danach steht es dem Lehrer mit seinen Seminaristen nicht.

Nach einem Blick zum 1896 errichteten Wasserturm des Oranienburger Elektrizitäts- und Wasserwerks an der Bismarckstraße geht es auf der gepflegten Uferpromenade durch die Hasenheide zurück zur Schmachtenhagener Chaussee (Fortsetzung der Königsallee). Hier treffen sie auf das Forsthaus Friedrichsthal, in dem der königliche Hegemeister mit Frau und Kindern wohnt.

Nun endlich können sich die durstigen Wanderer eine leibliche Stärkung gönnen, denn es gibt hier für wenige Groschen frische Milch und belegte Brote, die man im Garten zwischen Tieren und Kindern genießen kann. So gestärkt brechen sie auf und kommen nach zehn Minuten am Chausseehaus (ehemaliges Zollhaus, nach 1913 Restaurant Waldhaus) vorbei.

Alle Abbildungen Archiv B. Becker