Lehnitzer Geschichten: Kinokultur in Lehnitz

Lehnitzer Kinokultur – eine historische Reminiszenz

Von Bodo Becker

Im Februar 2014 überraschte der Kulturhausverein am Kulturhaus „Friedrich Wolf“ die Lehnitzer mit der Ankündigung, im Kulturhaus eine Spielfilm-Reihe zu starten. Kino in Lehnitz? Nur langjährige Einwohner konnten sich noch erinnern, dass hatten wir schon mal. Schauen wir zurück!

Abb. 1. Archiv B. Becker

Die planerischen Anfänge lagen nur zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in einer Zeit der materiellen und geistigen Not. Die Menschen sehnten sich nach Kultur, Unterhaltung und Frohsinn. Darauf reagierte die Gemeindevertretung mit der Konstituierung eines dreiköpfigen Kultur-Ausschusses, der auf seiner ersten Sitzung, am 22. Juli 1947, die Schwerpunkte seiner Arbeit formulierte: 1. Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek. 2. Beschleunigter Ausbau des Saales im Restaurant ‚Seelöwe’ mit einem Kino und 3. Vorprüfung (!) der Veranstaltungen durch den Kultur-Ausschuss. Die Umsetzung der Ziele schien wohl nicht voran gekommen zu sein, denn am 6. Juli 1949 schrieb der damalige Bürgermeister Max Schulze im Auftrag der Gemeindevertretung einen Brief an den Minister für Volksbildung der Landesregierung in Potsdam. Das Schreiben trug den Titel „Erläuterungsbericht zu dem Vorentwurf für den Neubau eines Kulturhauses in Lehnitz-Nordbahn“. Sinngemäß führte er aus: Für die Hebung des allgemeinen Kulturniveaus und die Vermittlung von fortschrittlichem Gedankengut fehlt es an entsprechende Räumlichkeiten. Der vorhandene, stark beschädigte Saal des Restaurants ‚Seelöwe’ ist zum Ausbau für kulturelle Zwecke nicht geeignet. Darum will die Gemeinde in der Nähe des Bahnhofs, auf dem Grundstück an der Hauptstraße-Ecke Florastraße, ein Kulturhaus errichten. Das Erdgeschoss des Haupttraktes soll ein Kino mit Zuschauerraum für ca. 400 (!) Personen aufnehmen. Auch kleinere Theaterstücke könnten hier gespielt und Konzerte veranstaltet werden. Für das Obergeschoss sind ein Ausstellungsraum, ein Spielzimmer, ein Klubraum und die Unterbringung der Gemeinde-Bücherei vorgesehen. Die Kosten schätzen die Planer auf über 312.000 DM. Soweit die Wünsche der Gemeinde.

Führt man sich nun die Wohnungsnot, die volkswirtschaftliche und die soziale Situation in der Sowjetischen Besatzungszone vor Augen, so kann man das Lehnitzer Vorhaben nur als schöne Illusion bezeichnen. So werden es wohl auch die zuständigen Bearbeiter im Ministerium gesehen haben, denn ein Kulturhaus ist in dieser Form bekanntlich nie gebaut worden. Für ihre Kinobesuche mussten die Lehnitzer zunächst weiterhin mit der S-Bahn in die Nachbarorte oder bis Berlin fahren. Brandenburger aus dem Berliner Umland füllten bis zum Mauerbau 1961 einen Großteil der Westberliner Kinos, was der politischen Führung natürlich nicht gefiel. Um hier eine Alternative vor Ort zu bieten, gründete man im Zuge des Aufbaus eines sozialistischen Lichtspielwesens ab 1953 Kreislichtspielbetriebe (folgend KLB). Diese unterstanden verwaltungstechnisch zunächst den örtlichen Staatsorganen. Erst 1957 erfolgte die Zuordnung unter die Abt. Kultur bei den Räten der Kreise.

Abb. 2. Modell des Kleintransporters „Garant“. Archiv B. Becker

Neben den Kinos betrieben die KLB den mobilen Landspieldienst (vormals Landfilm) für die kinolose Provinz. Hier fuhr ein Filmvorführer im Auftrag des zuständigen KLB (in unserem Fall Oranienburg) mit einem Kleintransporter und der notwendigen Kinotechnik über die Dörfer. Der KLB lieh die Spielfilme und die monatliche politische Wochenschau, genannt „Der Augenzeuge“, vom staatlichen „Progress Film-Verleih“. In der fernsehdünnen Zeit nahm das Unternehmen damit eine Monopolstellung bei der Vermittlung von Spielfilmen und der politischen Berichterstattung ein. Weil in den Augen der Kulturpolitiker das Kino zu allererst ein Ort der geistigen Einflussnahme im Sinne des Sozialismus sein sollte, forderte ein Arbeitspapier in schönster Funktionärssprache: Die „Entwicklung der Theaterleiter zu Funktionären, die die großen Aufgaben des Films bei der Entwicklung eines fortschrittlichen Bewusstseins der breiten Massen begreifen und bereit und in der Lage sind, an der Verwirklichung dieser Aufgaben mitzuarbeiten“. Auch in Lehnitz wurden einmal in der Woche (Donnerstag) eine Leinwand, die Verstärkertechnik und zwei Vorführgeräte (35 mm) zunächst im Veranstaltungssaal der Gaststätte ‚Lindenhof’ (heute das griechische Restaurant) aufgebaut.

Abb. 3. Vorführer mit Geräten um 1960. Quelle: „Thüringische Landeszeitung“. Archiv B. Becker

Abb. 4. Saal der Gaststätte „Lindenhof“, 1958. Archiv B. Becker

Tatkräftige Hilfe erhielt der Vorführer von zwei „privilegierten“ 12- bis 14-jährigen Jungen für die Kindervorstellung (Eintritt 25 Pfennig) um 16.00 Uhr, die dafür kostenlos zuschauen durften. Mit den Motorgeräuschen der Vorführgeräte, Gläserklingeln und Männerstimmen – der Schankraum grenzte unmittelbar am Saal – hat der Autor hier u.a. den „kleinen Muck“ (1953) und das „tapfere Schneiderlein“ (1956) mit ihren Abenteuern über die Leinwand flimmern sehen.

Abb. 5. Filmplakat aus dem Jahr 1953, Kopie. Archiv B. Becker

Für die Erwachsenen gab es in der Abendvorstellung (Eintritt 1,10 DM) ab 20.00 Uhr die große internationale Spielfilmwelt. Dazu gehörten neben DEFA-Filmen auch Spielfilme mit Gérard Philipe, Gina Lollobrigida und anderen Weltstars. Natürlich fehlten nicht die Märchenfilme und Spielfilme, z.B. „Wie der Stahl gehärtet wurde“ (1957), aus der Sowjetunion. Auch als man Ende der 1950er Jahre in die Schulaula gezogen war, vermissten viele Lehnitzer für entspannte und unterhaltsame Kinoerlebnisse immer noch einen großen Saal mit Kinosesseln, Leinwand und Vorhang. Gemeindevertreter und Bürgermeister Herbert Kreuschner fassten darum am 9. Februar 1960 den Beschluss, an die Hinterfront des Friedrich-Wolf-Hauses ein Kulturhaussaal zu errichten. (Das ist eine eigene Geschichte.) Endlich, am 12. Oktober 1963, war es dann soweit. Die Lehnitzer nahmen mit einer festlichen Einweihungsveranstaltung ihren langersehnten, gemeinsam errichteten Kulturhaussaal in Besitz.

Abb. 6. Jugendweihe 1969 im Kulturhaussaal. Durch den rechteckigen Ausschnitt der Deckendekoration sollte eigentlich der Film flimmern. Archiv B. Becker

Doch den Kinowunsch konnte der neue Saal nicht erfüllen. Die Höhe des für den Standort der Filmprojektoren vorgesehenen Raumes über den Eingangsbereich reichte nicht aus, sodass diese mit lautem Betriebsgeräusch wie gehabt im Saal stehen mußten. Dieser Mangel stellte sich in den folgenden Jahren aber als nicht allzu schmerzlich heraus, denn das familiäre Latschenkino verdrängte den Kinobesuch aus dem Blickfeld der damaligen Freizeitgestaltung. Erst zehn Jahre später kehrte die Kinokultur in Form des Freilicht-Kinos nach Lehnitz zurück.

Abb. 9. Terrassenrestaurant „Seeblick“, 1970er Jahre. Archiv B. Becker

Von den Terrassen des damaligen Restaurants ‚Seeblick’ aus konnte man, mit dem Lehnitzsee im Hintergrund, auf einer großen Filmleinwand in den Sommermonaten bei kühlen Getränken eine romantische Kinonacht erleben. Camper und Einwohner nahmen das unterhaltsame Kinoerlebnis gerne an. Die Gründe lassen sich nicht mehr ermitteln, aber Ende der 1970er Jahre stellte auch das Freilicht-Kino seine Vorführungen ein.

Nun sollte die Lehnitzer Kino-Tradition nach über drei Jahrzehnten also wieder am historischen Ort, im Kulturhaus, auferstehen. Auch wenn dies nunmehr ohne geräuschvolle Projektoren, mit neuer Wiedergabetechnik und digitalisierten Filmen geschah, der Neustart endete nach kurzer Zeit.