Richard Becker – Bürgermeister in schwieriger Zeit. Teil 2. Aufbau einer Kommunalen Infrastruktur

Richard Becker – Bürgermeister in schwieriger Zeit. Teil 2. Aufbau einer Kommunalen Infrastruktur

Von Bodo Becker

Der Briesetal-Bote ist mit seinen laufenden Berichten eine hervorragende Quellen für den kommunalpolitischen Alltag. Hier einige Beispiele für das Jahr 1931: Da wird Beschwerde darüber geführt, dass Automobilisten die Kaiser-Wilhelm-Strasse als Rennstrecke missbrauchen.

Abb. 1. Straßenverkehr auf der Lehnitzer Hauptstraße, 1931. Archiv: B. Becker

Geruchsbelästigungen der chemischen Fabriken in Oranienburg und die Werbeaktivitäten der in Lehnitz agierenden Maklergesellschaft geben wiederholt Anlass zum Handeln. Reklameschilder, die ohne behördliche Genehmigung angebracht sind, verschandeln das Ortsbild. Die Sonntagsruhe der Lehnitzer wird durch das laute Spielen einer Balalaikakapelle auf dem Gutsplatz gestört. Sie soll mögliche Grundstückskäufer anlocken. Bis 1933 werden im Bereich der kommunalen Infrastruktur Maßnahmen eingeleitet und Projekte verwirklicht, die zum Teil noch heute Bestand haben. So ist nach dem Ersten Weltkrieg die erste Generation der Lehnitzer Einwohner in die Jahre gekommen und möchte in ihrem Heimatort zur letzten Ruhe gebettet werden. Am 1. November 1925 findet die Einweihung des Friedhofs statt. Pfarrer Schramm aus Oranienburg segnet mit Begleitung des Oranienburger Kirchenchores den Friedhof ein. Gemeindevorsteher Becker spricht für die Gemeinde das Gelöbnis, die neue Stätte der Toten in Schutz und Pflege zu nehmen. Immer noch ist die Mehrzahl der Parzellen ohne Strom, Gas und zentraler Wasserversorgung. Verträge mit der Niederbarnimer Gasgesellschaft und dem Märkischen Elektrizitäts- und Wasserwerk sollen die vorindustriellen Umstände beseitigen. 1927 verlegt die Gasgesellschaft 6,5 km Gasleitung und 1932 bekommen 700 Parzellen einen Stromanschluss.

Auch ein anderes leidiges Ärgernis wird angepackt, dass noch Jahrzehnte später die Kommunalpolitiker beschäftigen wird. In der Lokalzeitung spricht ein Lehnitzer das Problem in Reimen an: „Doch Abends, oder wenn es feucht,/ dann ist die Pracht zu Ende./ Dann sieht man nur, wie jeder keucht,/ der zieht durch das Gelände./ Denn schrecklich ist die Dunkelheit,/ die Wald und Sträuch verbreiten,/ kein Licht am Weg, kein Mensch bereit,/ uns sicher zu geleiten.“

Der lyrische Ruf verhallt nicht ungehört. Erste Lichtmasten werden 1932 vom Märkischen Elektrizitäts- und Wasserwerk am Birkenwerderweg aufgestellt. Die Verwirklichung eines Vorhabens hat den Lehnitzern besonders am Herzen gelegen. Es ist dies die Errichtung eines Denkmals für die Gefallenen des Weltkrieges. Am 2. Dezember 1928 kann die Erinnerungsstätte in der damaligen Kaiser-Wilhelm-Straße unter großer Anteilnahme der Bevölkerung eingeweiht werden. Fast zwei Jahre hat sie dafür gesammelt. Richard Becker legt für die Gemeinde das Versprechen ab, das Denkmal stets in Ehren zu halten. Erfolgreiche Kommunalpolitik widerspiegelt sich nicht zuletzt auch in steigenden Einwohnerzahlen. 1925 leben 563 Einwohner in 151 Haushalten in Lehnitz. 1933 steht die Einwohnerzahl bei 975.

Abb. 2. Sommerhaus aus den 1920er Jahren im Südgelände. Foto: B. Becker

Wie viel Zuspruch und Sympathie Becker von Seiten der Lehnitzer Öffentlichkeit entgegen gebracht werden, zeigen die Würdigungen anlässlich seiner Wiedervermählung im Jahre 1930. Der Briesetal-Bote schreibt unter anderem dazu: „Die seinerzeitige Wiederwahl des Herrn Becker zum Gemeindevorsteher beweist das fest verankerte Vertrauen der Lehnitzer Einwohnerschaft, und es ist ein Zeichen der Aufopferung, dass er sich nicht an seine Amtszeit klammert, sondern auch außeramtlich jedermann auf seine ihm eigene Art Gehör schenkt.“

Abb. 2. Bgm. R. Becker mit seiner Frau im Restaurant „Zum Seelöwen“. Foto: Archiv B. Becker

Doch mit dem Aufkommen der Nazi-Bewegung auch in Lehnitz sind die Tage seines Wirkens gezählt. Nach den Kommunalwahlen im März 1933 gerät der beliebte Gemeindevorsteher schnell in das Schussfeld der ortsansässigen Nazis. Becker hat sich unter anderem mit seinem loyalen Verhalten gegenüber jüdischen Mitbürgern bei den Parteigenossen unbeliebt gemacht. Schwer wiegt für die braunen Kommunalpolitiker, dass seine erfolgreiche Amtsführung eng mit den demokratischen Verhältnissen der Weimarer Republik verbunden ist. Noch kann Becker im Mai alle Abgeordnetenstimmen für seine Wiederwahl auf sich vereinigen. Aber mit Intrigen im Hintergrund, verleumderischen Vorwürfen und Verbreitung von Angst gelingt es den braunen Abgeordneten bis zum Sommer, eine Mehrheit gegen den Gemeindevorsteher zu organisieren. Der einzige SPD-Vertreter im Gemeindeparlament, Alfred Goldschmidt, der im Mai noch mutig gegen das Aufhängen eines Hitler-Bildes unter den wütenden Zwischenrufen der NSDAP-Abgeordneten eingetreten ist, gehört zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu den Abgeordneten. Becker tritt am 5. August 1933 von seinem Amt zurück. Mit ihm stellt auch der gewählte Gemeindeschöffe Willy Broistedt sein Amt zur Verfügung. Nun befinden sich nur noch Mitläufer und NSDAP-Mitglieder im Gemeindeparlament. Die demokratische Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Lehnitz ist beendet.

In seiner Ausgabe vom 17. November 1934 berichtet der Briesetal-Bote mit einem längeren Beitrag über den Prozeß gegen den ehemaligen Bürgermeister. Die beiden Anklagen wegen Vorteilsnahme und Bestechung wurden vom Staatsanwalt im Ergebnis der Verhandlung fallen gelassen. Das Urteil des Richters lautete abschließend: Freispruch!

Zwölf Jahre später erinnert man sich noch einmal des erfolgreichen Kommunalpolitikers. Am 14. Dezember 1945 wird Becker vom Leiter der antifaschistischen Polizeiverwaltung in Lehnitz zum Nachtwächter der Gemeinde berufen. In Berlin findet Richard Becker 1959 seine letzte Ruhe. An den verdienstvolle Bürgermeister wird im Oktober 2005 mit einem Straßennamen erinnert.