Ein Gedenkstein für Ethel und Julius Rosenberg – Opfer des Kalten Krieges

Von Bodo Becker

Täglich passieren Fußgänger die Parkanlage mit den beiden Denkmälern an der Friedrich-Wolf-Straße in Lehnitz. Nur wenige von ihnen werden mit dem schlichten Findling aus Granit und seiner Inschrift „In memoriam Ethel und Julius Rosenberg“ etwas anfangen können. Vor sieben Jahrzehnten bewegte das Schicksal der Rosenbergs die Weltöffentlichkeit; an ihnen schieden sich die politischen Meinungen. Wer waren Ethel und Julius Rosenberg und warum ehrte man sie gerade in Lehnitz mit einem Gedenkstein?

Das Schicksal der Rosenbergs führt uns zurück in die Welt des Kalten Krieges, in den Sommer des Jahres 1950. Ein Jahr zuvor hatte die Sowjetunion ihre erste Atombombe gezündet und war neben den USA zur Atommacht aufgestiegen. Im seit Juni 1950 andauernden Koreakrieg kämpften US-Soldaten gemeinsam mit UN-Truppen gegen das kommunistische Nordkorea. Bis zum Waffenstillstandsabkommen, am 27. Juli 1953, verloren 36.000 Amerikanern dabei ihr Leben. In diesen Jahren steigerte sich das politische Klima in den USA in eine antikommunistische Hysterie, die zum Teil in paranoide Spionage-Beschuldigungen gipfelte. Die Vorgeschichte dazu lag bereits in den unmittelbaren Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Abb. 1. Brecht vor dem antikommunistischen Tribunal. Quelle: www.filmposter-archiv.de

Die Antihitlerkoalition war auseinandergebrochen und die ehemals militärischen Verbündeten verfremdeten sich zunehmend politisch. Am 5. März 1946 sprach der frühere britische Premierminister Winston Churchill von einem “Eisernen Vorhang” in Europa. Der würde das Nachkriegseuropa mit Stacheldraht und Minenfeldern in zwei unversönliche Einflußsphären teilen. Das Fundament der folgenden politisch-ideologischen Ausandersetzungen bildeten Antikapitalismus und Antikommunismus. Amerikaner und Ausländer, wie zum Beispiel die antifaschistischen Emigranten Bertolt Brecht und Thomas Mann, gerieten schon 1947 in das Visier des US-Geheimdienstes FBI. Vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ mussten sie sich gegen Vorwürfe, mit den Ideen des Kommunismus zu sympathieren, verteidigen. Brecht verließ einen Tag nach dem unwürdigen Verhör, am 31. Oktober 1947, die USA. Ein Jahr später reiste er von Zürich, über Prag nach Ostberlin ein.

Als Initiator und Wortführer der antikommunistischen Hexenjagd tat sich der republikanische Senator Joseph McCarthy hervor. Der Senator schreckte nicht davor zurück, die Regierung zu beschuldigen, über 200 sowjetische Agenten in ihren Reihen zu dulden.

Abb. 2. Bucheinband. Edition assemblage, 2016. Archiv B. Becker

Bekanntestes Opfer jener McCarthy-Ära wurde das amerikanische Ehepaar Ethel und Julius Rosenberg. Ihre Verhaftung erfolgte im Juli 1950 mit dem Vorwurf, die geheimen Bomben-Unterlagen an die Sowjetunion verraten zu haben. Als Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA und Nachfahren jüdischer Einwanderer aus Osteuropa entsprachen sie zusätzlich dem Täterprofil der Ermittlungs- und Justizbehörden. Beobachter sprachen daher von einem politisch motivierten Schauprozess, der genau in die aufgeregte Öffentlichkeit passte. Am 5. April 1951 begründete Richter Irving Kaufmann das verhängte Todesurteil gegen die Rosenbergs mit der Argumentation, dass deren Verrat der Sowjetunion den Bau der Atombombe erst möglich gemacht habe und er daher schlimmer als Mord sei. Doch von Anfang an gab es Zweifel an der Schuld des Ehepaares. Juristen deckten zusätzlich schwerwiegende Fehler am rechtmäßigen Verlauf des Rosenberg-Prozesses auf. In der ganzen Welt kam es nach der Urteilsverkündung zu zahlreichen Protesten gegen die drohende Hinrichtung. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus aller Welt forderten den Verzicht. Selbst Papst Pius XII. setzte sich für die Schonung des Lebens der Rosenbergs ein. Angesichts dieser internationalen Reaktionen erreichte der Rechtsanwalt der Rosenbergs einen Aufschub auf den 5. April 1953.

In der DDR lenkte der Partei- und Propagandaapparat der SED die Proteste gegen das Todesurteil. Protestresolutionen von Arbeitskollektiven, Kundgebungen und veröffentliche Stellungnahmen von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden gehörten dazu.

Abb. 3. CDU-Organ „Neue Zeit“, 17.02.1953. Digitalisat der Staatsbibliothek Berlin

Zur gleichen Zeit stand die Öffentlichkeit auch unter dem Eindruck der propagandistischen Begleitmusik zu stalinistischen Prozessen und Säuberungen im eigenen Land und in der Tschechoslowakei. Alle diese Vorgänge trugen dazu bei, unter den kritischen Mitgliedern der SED ein gewolltes Klima der Angst zu schüren. Am 27. Februar 1953 veröffentlichte der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) der DDR eine Erklärung von Friedrich Wolf, in der es heißt: „So begann es schon einmal vor über 20 Jahren, als Hitler und die braunen Henker um politischer Ziele willen das Recht beugten und ‚Köpfe rollen’ ließen… Heute, vor dem drohenden Justizmord an dem Ehepaar Rosenberg, haben Millionen ihre Stimmen erhoben, ob Arbeiter, Gelehrter, Pfarrer oder Papst. Die teuflische Rechtsverdrehung steht zu klar vor aller Augen. Der gewaltige Ansturm der Millionen anständiger und gerecht denkender Menschen hat den Henker und seine Helfer bereits einmal überwunden… Zola hat vor 50 Jahren in der Affäre Dreyfuß einen Justizmord verhindert und nicht bloß einen Unschuldigen gerettet, sondern die Ehre Frankreichs. Es gilt heute, das Leben zweier Unschuldiger zu retten. Es gilt, die Ehre des Landes eines Abraham Lincoln und Thomas Jeffersen zu retten. Für jeden, der sehen will, geht es hier und dort um noch weit mehr: Es geht darum, unsere Generation zu bewahren vor einem zweiten Anfall der nazistischen Missachtung des Menschenlebens und der nazistischen Barbarei. Denn so fing es an. Meine Freunde in den USA, macht euch nicht mitschuldig durch Schweigen oder bloßes Zuschauen! Romain Rolland schrieb einmal: ‚Die, welche das Unrecht zulassen, sind genauso schuldig, wie die, welche es tun!’ Klagt also nicht später, wenn hier und dort ganze Städte unter den Bomben liegen! Dann ist es zu spät. Wir in Deutschland wissen das. Erhebt heute eure Stimme gegen Mord, Betrug und Nichtachtung des Menschenlebens! Rettet Julius und Ethel Rosenberg, rettet euch selbst solange es noch Zeit ist.“ Zitiert nach: Berger, Christel: Friedrich Wolf 1953 : Eine unvollständige Biographie rückwärts. – Berlin: Edition Schwarzdruck, 2006. – S 161

Abb. 4. Wolfs gekürzte Erklärung im „Neuen Deutschland“ vom 28.02.1953. Digitalisat…

Der sozialistische Schriftsteller trat hier couragiert gegen den drohenden Justizmord in den USA an. Wo blieb seine öffentliche Anklage gegen die stalinistischen Schauprozesse mit ihren menschenverachtenden Urteilen? Eine eindeutige Stellungnahme zu den stalinistischen Verfolgungen blieb Wolf wie die meisten seiner intellektuellen Kollegen der Öffentlichkeit schuldig. Was veranlasste also das Schweigen der ehemaligen Emigranten, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus so viel Selbstlosigkeit und Zivilcourage gezeigt hatten? Gewiss war es neben ihrer politischen Weltanschauung auch die Loyalität gegenüber den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden, der ihnen und den Familien nach den schwierigen Jahren des Exils nun eine berufliche und politische Heimstatt gab.

Die internationalen Proteste an die US-Justiz und ein Gnadengesuch an US-Präsident Dwight D. Eisenhower drei Tage vor dem neuerlichen Hinrichtungstermin blieben ohne Wirkung. Das Ehepaar Rosenberg (37 und 35 Jahre alt, Eltern von zwei Söhnen) wurden am 19. Juni 1953 im Zuchthaus Sing-Sing in New York auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Welche moralische Unzufriedenheit Wolf in diesen Monaten gegenüber der Öffentlichkeit hegte, zeigen nachfolgende Sätze, die er am 18. Juli in Parteizeitung „Neues Deutschland“ unter der Überschrift „Für die Rehabilitierung der Rosenbergs“ veröffentlichte. “Wer in unserem Land denkt heute noch daran? Haben vier Wochen unser Gedächtnis ausgelöscht? Ist das Unrecht darum kein Unrecht mehr, weil das erste Gras darüber wächst?“

Abb. 5. SED-Organ „Neues Deutschland“, 18.07.1953. Digitalisat…

In seiner ebenfalls im Juli verfassten Kantate „In memoriam Ethel und Julius Rosenberg“ klagt er allgemein und mehrdeutig das schnelle Vergessen begangenen Unrechts an und fordert Wiedergutmachung:

„Schnell vergisst der Mensch das Böse,

Das ihm geschah,

Schneller noch vergisst er das Böse,

Das man anderen angetan.

Aber das Böse, von Menschen getan,

Wirkt weiter als schwärend Geschwür,

Bevor es getilgt ward

Und gereinigt.“

Seine Frau Else (1898-1973) wusste um das moralische Unbehagen ihres Mannes. Sie war zu jener Zeit Parteisekretärin der SED im Wohnort Lehnitz. Auf einer Sitzung der Ortsparteileitung am 10. August schlug sie vor, eine durch das „Nationale Aufbauwerk“ von den Lehnitzer Aufbauhelfern geschaffene Parkanlage am Bahnhof (Eckgrundstück Florastraße/Friedrich-Wolf-Straße) im Rahmen einer feierlichen Übergabe „Ethel und Julius Rosenberg Park“ zu nennen. Am Sonntag, dem 13. September 1953, es ist der „Gedenktag der Widerstandskämpfer gegen den Faschismus“, fand dann die Feierstunde statt. Nach der Berichterstattung in der „Märkischen Volksstimme“ sprach Wolf, umrahmt von Trauermusik, Liedern der Frauensingegruppe Lehnitz und Rezitationen, die Gedenkrede. Der Bericht, geschrieben von Inge Schwenker (der späteren Ehefrau von Heiner Müller), gibt nur die üblichen propagandistischen Klischees der Wolf-Rede wieder, wie unter anderem die Forderung nach Kampf gegen die Kriegstreiber und Unruhestifter sowie die Verpflichtung, das Werk der Rosenbergs fortzusetzen. Abschließend wurde eine große Ehrentafel an einer rückwärtigen Hauswand enthüllt: „In memoriam für Ethel und Julius Rosenberg, die für den Frieden der Welt kämpften und starben.“

Abb. 6. Ansichtskarte, um 1955. Archiv B. Becker

Erst einige Jahre später kam der Granitstein mit der bekannten Inschrift am Eingang zum Park. Welche Gedanken Wolf wirklich auf der Seele brannten, erfahren wir aus einem Brief an die Mutter seines letzten, am 15. Juni 1953, außerehelich geborenen Sohnes: „Morgen weihen wir hier auf Elses Initiative den Hauptplatz am Bahnhof als Julius- und Ethel-Rosenberg-Platz ein, wohl als einzige in der DDR, die sich nach der wilden Kampagne vor 2-3 Monaten noch der tapferen Menschen erinnern. Oft frage ich mich, was ist bei allem noch echt und wahr?… Ach mein Liebstes, ich hoffe, dass du wirklich an unserm Söhnchen das erlebst, was wir uns erträumten. Dass er vor allem ein aufrechter, mutiger Mensch wird. Ich möchte einmal ein ganzes Stück nur gegen die Feigheit schreiben und es überschreiben: Der Hosenscheißer. Schon der Titel müsste ein Bekenntnis zum Mut sein.“ (Zitiert nach: Berger, Christel: Friedrich Wolf 1953… a.a.O. S. 162-63) Es sollte Wolfs letzter Auftritt in der Lehnitzer Öffentlichkeit gewesen sein. Am 5. Oktober frühmorgens findet Else Wolf ihren Mann tot auf. Todesursache ist ein Herzinfarkt als Folge einer verschleppten Grippe. Parkanlage und Gedenkstein blieben bis 1990 bestehen. Dann errichtete ALDI hier im Herbst seine erste Filiale im Altkreis Oranienburg. Für die Schaffung der notwendigen Baufreiheit erfolgte eine Neuaufstellung an heutiger Stelle.

Abb. 7. Foto B. Becker