Schiffe mit Hybridantrieb auf dem Lehnitzsee

Von Bodo Becker

Abb. 1. Segelnde Finowmaßkähne auf dem Lehnitzsee, um 1920. Ansichtskarte aus der Serie Heimatbilder Nr. 13. der Heimatkundlichen Vereinigung von Oranienburg und Umgegend

Diese segelnden Lastkähne stammen aus einer Zeit, in der Körper- und Windkraft noch zu den Antriebskräften in der Binnenschifffahrt gehörten. Zum Ziehen, genannt Treideln, der Lastkähne vom Ufer aus kamen Menschen oder Zugtiere zum Einsatz. Das geschah auf sogenannten Treidelwegen entlang der Wasserstraße. Heute erinnert oft nur noch die Bezeichnung „Treidelweg“ an diese kräftzehrende Arbeit. Die Pächter der Kleingartenanlage, die am Oranienburger Treidelweg liegt, werden bei ihrer Freizeittätigkeit wohl nur selten an diesen historischen Hintergrund denken. Mit der Inbetriebnahme der Lehnitzschleuse im Jahre 1912 wurde der Lehnitzsee eine Teilstrecke des viel befahrenen Oder-Havel-Kanals. Obwohl Dampfkähne und Schleppdampfer da schon seit Jahrzehnten den Güter- und Personenverkehr auf den märkischen Wasserstraßen bestimmten, konnte man hier noch mit etwas Glück segelnde Lastkähne beobachten. Sie kamen als Relikte aus einer technologisch längst vergangenen Zeit daher.

Abb. 2. Ansichtskarte. Wartende Schleppdampfer, gelaufen 1936

An die Seite der Dampfschifffahrt gesellte sich ab 1910 die Motorschifffahrt mit dem Dieselmotor. Viele Schiffseigner ließen sich den „Diesel“ nachrüsten; vereinzelt sogar als Außenbordmotor am Steuerruder anbringen. Zahlreiche Frachtdampfer wandelte man in Motorschiffe um. Hinzu kam der verstärkte Neubau von Motorschiffen mit Dieselmotoren.

Abb.3. Bildmitte: Motorschiff wartend vor den Schleusen, nach 1940. Fotograf: Erwin Baer

Zwei Jahrzehnte später tauchten auf den märkischen Wasserstraßen Schiffstypen auf, die den meisten Landratten unbekannt waren: Motorsegler und seegehende Motorschiffe. Das von Max Rehberg um 1940 gemachte Foto des Motorseglers „Pregel“ auf dem Hohenzollernkanal (Oder-Havel-Wasserstraße) gehörte zu den Beständen des nach 1935 von dem Heimatforscher gegründeten ersten märkischen Binnenschifffahrtsmuseum.

Abb. 4. Foto vom Motorsegler „Pregel“ mit niedergelegtem Mast, um 1940

Schon seit Jahren hatte sich Rehberg mit Sammeln von Schiffsmodellen, fotografischer Dokumentation von Frachtkähnen und zahlreichen Publikationen über die märkische Binnenschifffahrt dem Thema zugewandt. Der Anlass für dieses Foto lag im hybriden Antrieb des Schiffes, der sich am kombinierten Einsatz als Seeschiff und Binnenschiff orientierte. Diese Motorsegler besaßen als Antrieb auf See eine traditionelle Segelanlage und für das Fahren auf Binnenwasserstraßen einen 75 bis 150 PS starken Dieselmotor. Die neuentwickelte „Pregel“ war 1936 auf der innovativen Wiemann-Werft in Brandenburg a.d. Havel als segelndes Motorschiff in einer Serie von Küstenmotorschiffen für den Verkehr zwischen den Ostseehäfen entstanden. In Königsberg (ab 1945 Kaliningrad) betrieb die Reederei Ivers & Arlt die „Märkisch-Ostpreußische Eilschifffahrt“, die es als Segelschiff registriert hatte. Das Baujahr ist vermutlich kein Zufall, denn um für den angestrebten gemeinsamen See- und Binnenschifffahrtsverkehr einen effizienten Schiffstyp zu erhalten, hatte die „Schiffbautechnische Gesellschaft e.V.“ (gegründet 1899 in Berlin) 1935 einen Wettbewerb ausgeschrieben. Der neue Typ erreichte im beladenen Zustand eine Geschwindigkeit von fast 15 km/h. Die Besatzung bestand aus drei bis fünf Mann. Für den Frachtverkehr vom Rhein nach dem Elbe-Oder-Stettin (ab 1945 Szczecin)-Gebiet zählten Fachleute um 1935 etwa 100 Motorsegler. Von den 70 Schiffen mit deutschen Eignern kamen rund 60 aus Haren (Ems). In der Schleuse Lehnitz fielen Rehberg besonders die Motorsegler des „Schiffer-Transport-Vereins Haren“ auf. Relativ leicht erkannte man sie vor Ort am umgelegten Mast. Die Schiffe erreichten nicht die Länge eines Finowmaßkahns (40 Meter, 170 bis 270 Tonnen) und konnten 150 bis 250 Tonnen Ladung mit einem Tiefgang von 2,20 Meter aufnehmen. Auf dem Hohenzollernkanal war dieser Tiefgang jedoch nicht möglich.

Abb. 5. Fotografie aus einem Beitrag der Serie „Heimat und Welt“, März 1939, des Oranienburger General-Anzeigers. Rechts im Bild die Baustelle der Lehnitzschleuse II.

Der Mast diente auch als Lademast mit einer durchschnittlichen Belastbarkeit von 20-30 Zentnern. Auf See trug er das viereckige Gaffelsegel, das als Hauptsegel von einem dreieckigen Focksegel ergänzt werden konnte. Das Laden und Löschen vollzog sich über eine Dieselmotorwinde. Die Motorsegler vermittelten in der Hauptsache den Frachtverkehr von den Rheinhäfen nach den Häfen der Elbe und den märkischen Wasserstraßen, besonders nach Berlin. Darüber hinaus nahmen Schiffe mit stärkeren Dieselmotoren ihren Weg auf dem Rhein über das Rhein-Maas-Delta oder den Dortmund-Ems-Kanal durch die Nordsee außerhalb der friesischen Inselkette entweder durch Hamburg und von dort elbaufwärts oder aber durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Stettin und über die Oder-Havel-Wasserstraße nach Berlin. Von hier erreichte man auch die Industriezentren der Berlin-Brandenburg-Region. Eine Fahrt von Düsseldorf in die Reichshauptstadt dauerte über See ohne Umladen sechs Tage. 1935 erreichte die Ausfuhr aus dem Rheingebiet und den nordwestdeutschen Wasserstraßen über Stettin nach Berlin 71.000 Tonnen, der Versand nach Westen dagegen 25.400 Tonnen. Sehr bedeutsam war der kombinierte Schifffahrtsdienst für die Verbindung Berlins und der übrigen märkischen Schifffahrtsplätze mit der preußischen Exklave Ostpreußen. Der zeitraubende Weg durch den polnischen Korridor (Westpreußen war 1920 zu Polen gekommen) konnte über die Ostsee umgangen werden. In drei Tagen legte ein Motorsegler die Strecke Berlin-Stettin-Königsberg zurück, während die Motorschiffe bzw. Güterdampfer auf den Binnenwasserwegen acht Tage benötigten.

Abb. 6. Gedränge vor den Lehnitz-Schleusen I. und II., nach 1940. Fotograf: Erwin Baer

Der Verfasser dankt Frau Simone Dawid vom Regionalmuseum Oberhavel für die Unterstützung.