Weihnachtsgrüße im Ersten Weltkrieg – Trost, Kitsch und Propaganda

Weihnachtsgrüße im Ersten Weltkrieg – Trost, Kitsch und Propaganda

Von Bodo Becker

„Kriegsweihnacht“, so überschrieb ein Autor seinen Beitrag am 24. Dezember 1914 im Oranienburger General-Anzeiger. Ein Wort, das in seinen Bestandteilen gegensätzlicher nicht sein kann. Das christliche Fest des Friedens verbunden mit dem Sinnbild des massenhaften Mordens. Die in den Krieg gezogenen Ehemänner, Väter und Söhne, denen man beim Beginn des Krieges eine baldige Heimkehr versprochen hatte, sahen im Dezember des Jahres 1915 ihrer zweiten Weihnacht im Schützengraben entgegen. Von einem baldigen Ende der Kämpfe sprach die Propaganda schon längst nicht mehr. Im Westen und Osten Europas standen sich in Grabensystemen Millionenheere in täglichen Schlachten gegenüber. Hunderttausende Soldaten lagen bereits zur letzten Ruhe in fremder Erde.

Bei den Ansichtskartenverlagen hatte sich schon vor 1914 die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auch Bildpostkarten als Medium hervorragend für die politisch-ideologische Einflussnahme eigneten. In den Jahren der Großmachtpolitik des Deutschen Kaiserreichs vor dem Ersten Weltkrieg kamen darum zunehmend Karten auf den Markt, die mit ihren Bildmotiven imperiales Gedankengut, z.B. für die maritime Rüstungspolitik oder Militarisierung der Gesellschaft, verbreiteten. Unter der Überschrift „Weihnachtsbescherung unserer jüngsten Prinzen“ war der Gabentisch 1910 für die beiden Hohenzollern-Knaben reich mit Kriegsspielzeug gedeckt, wie die Postkarte den Untertanen vermitteln sollte. Ebenso die „Innigsten Weihnachtsgrüße“, wo ein als Matrose gekleideter Junge die Flagge der kaiserlichen Kriegs- und Handelsmarine schwenkt. Der mit den Fahnen des Deutschen Reichs und des österreichischen Kaisertums geschmückte Weihnachtsbaum sowie das darunter liegende Kriegsschiff versinnbildlichen den Anspruch des wilhelminischen Kaiserreichs als Seemacht neben dem Rivalen Großbritannien.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 kam den Grußkarten eine neue, äußerst bedeutsame Aufgabe zu. Die Feldpostkarten und -briefe stellten für die Dauer des Krieges, oftmals für viele Wochen, die einzige Nachrichtenverbindung zwischen den Frontsoldaten und ihren nächsten Angehörigen, Frauen und Kindern in der Heimat dar. Täglich beförderte die Deutsche Feldpost ca. 16 Millionen Sendungen, wovon mehr als die Hälfte Kartengrüße gewesen sein sollen. Nicht nur weihnachtliche Liebesgaben, wie Zigaretten, Schokolade, Lesestoff, gestrickte Handschuhe, Socken und Ohrenschützer, erreichten die Soldaten aus der Heimat, sondern auch millionenfach Weihnachtspostkarten. Die vorformulierten Wünsche unterschieden sich dabei von den zivilen Weihnachtskarten. Statt fröhliche, glückliche oder frohe bekam der Frontsoldat herzliche, innige oder gesunde Weihnachtswünsche.

Für die Illustrationen bedienten sich die Verlage aller damaligen Möglichkeiten der Reproduktion und künstlerischen Druckgraphik. Dazu gehörten kolorierte oder nicht farbige Fotografien, farbige Lithografien, sogenannte Künstler-Postkarten oder auch Zeichnungen. Alle Bildpostkarten hatten nur eine Aufgabe: die Gefühle und das Bewusstsein des Empfängers zu erreichen. Die illustrierte Nachricht von den Lieben zu Hause sollte dabei auch Emotionen und Haltungen stimulieren, die positiv seine Kampfmoral und Durchhaltebereitschaft beeinflussten. Besonders beim gefühlsgeladenen Weihnachtsfest war die Auswahl der Bilder darum eine Gratwanderung zwischen Kitsch, Gefühlsduselei und nicht angebrachter Fröhlichkeit. Dabei erschien die Darstellung eines verschneiten Stadtbildes eher selten.

Die hier gezeigte Karte mit nationaler Symbolik erreichte im Kriegsjahr 1915 ihren Adressaten an der Front. Gezeichnete Motive verbanden vorzugsweise Weihnachtssymbolik mit völkisch-nationalen Sinnbildern. Ein nächtlicher Sternenhimmel und die Umrisse einer mächtigen Kanone, im Soldatenjargon „dicke Bertha“ genannt, bilden den Hintergrund für drei Soldaten mit Lichterbaum auf einer Künstler-Postkarte. Unterschrift: Deutsche Weihnacht. Für die Frontsoldaten wohl eher „traurige“ Weihnachten.

 

Auch der gezeichnete Spähtrupp im nächtlichen Winterwald mit geschlagenem Tannenbaum als „glücklicher Fund“ hat mit der Frontrealität wenig zu tun. Und die dargestellte fröhliche Weihnachtsfeier mit der Ankunft des Weihnachtsmannes wird bei den Soldaten vermutlich mehr Bitterkeit als Lachen hervorgerufen haben.

Zu derartig „humorigen“ Weihnachtsgrüßen gehörten auch die Schlitten ziehenden Kinder in Uniform mit Fahne, Weihnachtsbaum und Geschenkpaketen.

Mit religiöser Fantasie lässt ein Zeichner aus den Flammen eines nächtlichen Biwakfeuers am Heiligen Abend, um das sich müde Soldaten lagern, eine ganze Schar von Engeln mit Lichterbaum und Geschenken vom Himmel herab kommen.

Dagegen orientierten sich fotografische Bildpostkarten mit Montagen eindrucksvoll an den realen Wünschen von Ehemännern und Vätern in den Schützengräben: Auf ein baldiges Zusammensein mit der geliebten Frau und den Kindern in Frieden. Für viele von ihnen erfüllte sich dieser Wunsch nicht.

Waren die bisher aufgezeigten Bildpostkarten vorzugsweise für die Soldaten bestimmt, so gab es auch fotografische Weihnachtsgrüße von der Front nach Hause. Hier gruppierten sich die Soldaten mit entspannten Gesichtern um einen Weihnachtsbaum in einer fast häuslichen Umgebung. Das Bild sollte beruhigend auf die Angehörigen in der Heimat wirken. Oftmals war diese Wirkung ein Trugschluss.

Dem eingangs angeführten Beitrag „Kriegsweihnacht“ folgte die 109. Verlustliste mit getöteten Soldaten aus Velten, Gransee, Zehdenick und Lehnitz. Auch mehr als hundert Jahre später müssen Menschen in vielen Teilen unserer Erde „Kriegsweihnachten“ erleben.

Friede – damals wie heute ein noch immer unerfüllter Wunsch!