Zivilcourage in Lehnitz und Oranienburg

Widerständige Zivilcourage im nationalsozialistischen Unrechtsstaat

Von Bodo Becker

Mit der schrittweise Beseitigung von Verfassungsrechten wie Rechtstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit sowie Parteienverboten zerstörte die am 31. Januar 1933 gebildete Koalitionsregierung unter Führung Hitlers in wenigen Monaten den demokratischen Verfassungsstaat der Weimarer Republik. An seiner Stelle etablierte sie ein diktatorisches Regime, das gnadenlos gegen politische Gegner und nicht in das nationalsozialistische Menschenbild passende Minderheiten vorging. Willkür, Hass und Gewalt bestimmten zunehmend das staatliche Handeln. Hinzu kamen soziale Demagogie und Versprechungen, denn Millionen Menschen befanden sich in einer katastrophalen sozialen Lage.

Die am 12. März durchgeführten Kommunalwahlen brachten in Lehnitz für die NSDAP zwar einen Zuwachs, jedoch war sie auf die fraktionelle Zusammenarbeit mit einer Listenverbindung angewiesen. Für die SPD hatte nur Alfred Goldschmidt ein Mandat erlangt.

Die staatliche Repressionspolitik unter Führung der SA zeigte sich auch im kleinen Villenvorort, wo ein Kommando der Landjägerei (Polizei) und Hilfspolizeibeamte (zumeist SA-Angehörige) wüteten. Der niederländische Journalist Nico Rost (Vgl. Beitrag für Januar 2018, hier lesen), die Lehnitzer Martin Teller und Kurt Schütz (beide SPD) kamen zeitweilig in das Konzentrationslager Oranienburg.

Zum 1. April rief die Nazipartei zu einem Boykott von Geschäften mit jüdischen Eigentümern auf. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf Bürger jüdischen Glaubens. Unter der Bevölkerung machten sich Angst und Unsicherheit breit. Als am 27. April 1933 das abgebildete Foto in der Beilage „Heimat und Welt“ des OGA erschien, gehörten daher willkürliche Inhaftierungen und öffentliche Diskriminierung jüdischer Mitbürger zum Alltag. Es illustrierte den Beitrag „Im Konzentrationslager. Das Leben der politischen Schutzhäftlinge“. Vermutlich hat der Lagerkommandant, der Lehnitzer Werner Schäfer, den propagandistischen Text verfasst. Die Veröffentlichung besaß nur ein Ziel – das unmenschliche Regime des Lageralltags öffentlich zu leugnen. Am 4. Mai erschien Goldschmidt zu seiner ersten Gemeindevertretersitzung, wo die NSDAP gemeinsam mit der Listenverbindung die Mehrheit bildeten. Dass er trotz dieser ausweglosen Situation seinen Überzeugungen treu blieb, bewies er noch am gleichen Abend. Allein er stimmte gegen den Kauf eines Hitlerbildes mit der Begründung: „Die Anbringung des Hitlerbildes entspricht nicht jedermanns Meinung; ferner wisse man auch nicht, wie lange die jetzige Regierung im Amt bleibe!“ (Briesetal-Bote, 7. Mai 1933) Die NSDAP-Vertreter reagierten mit wütenden Zwischenrufen. Mit dem endgültigen SPD-Verbot im Juni 1933 musste Goldschmidt die Gemeindevertretung zwangsweise verlassen. Alfred Goldschmidt überlebte das Hitler-Regime. Am 11. November 1954 starb er in Lehnitz.

Propagandabeitrag in der OGA-Beilage

Widerständiges Verhalten in Oranienburg

Gewollt oder ungewollt berichtete der OGA vom 14. August 1935 unter der Überschrift „Was heute noch möglich ist!“ über das couragierte Verhalten des Oranienburgers Georg Schwartze. Der Landgerichtsdirektor a.D. verzichtete im veröffentlichten Brief an NSDAP-Führer Fuchs auf seine bisher nur formale Parteizugehörigkeit. Schwartze, den man wegen Einkäufe in der Fleischerei der jüdischen Familie Bach (Die Familie Bach emigrierte 1935 nach Madeira) bei Fuchs denunziert hatte, weigerte sich Käufe in „jüdischen“ Geschäften einzustellen mit der Aussage: „Gegen die mir erteilte Verwarnung verwahre ich mich lebhaft. Ich unterstehe nicht Ihrer Dienstaufsicht…“ Über das weitere Schicksal von Georg Schwartze gibt es bisher keine Erkenntnisse.

Wenn die Zivilcourage dieser Männer das NS-Regime auch nicht erschütterte, so offenbarten sie doch eine aufrechte Haltung, die noch heute Respekt verdient.

Das Gebäude der ehemaligen Fleischwarenfabrik der Brüder Eduard und Georg Bach in der Rungestraße