Makkabi chai, Makkabi lebt – praktizierter Zionismus in Lehnitz

Makkabi chai, Makkabi lebt – praktizierter Zionismus in Lehnitz

Von Bodo Becker

Am 28. Juli 2015 eröffnete der damalige Bundespräsident Joachim Gauck die 14. European Maccabi Games jüdischer Sportler in der Berliner Waldbühne. Das Sportereignis stellte eine Premiere für Deutschland dar. Schon 1929 hatten in Prag die ersten Europäischen Makkabi Spiele stattgefunden. Dass sich nun knapp 2300 Sportler siebzig Jahre nach dem Ende des Holocaust in der Stadt zum sportlichen Wettstreit trafen, wo die Vernichtung ihrer Familien geplant und organisiert wurde, ist eine Geste der Versöhnung und Anlass für Erinnerung.

Abb. 1. Eröffnungsfeier in Berlin. Quelle: Offizielle Website der Maccabi Games 2015

Unter schwierigen Umständen trafen sich 1935 im Jüdischen Erholungsheim Lehnitz vom 31. Oktober bis 3. November führende Vertreter und Mitglieder der deutschen Makkabi-Bewegung. Die Wahl des Tagungsortes geschah nicht zufällig, denn die Lehnitzer Einrichtung hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige jüdische Verbände und Organisationen beherbergt. Natürlich bemühte sich der nationalsozialistische Unterdrückungsapparat, die Zusammenkünfte in Lehnitz zu überwachen und – wenn seines Erachtens erforderlich – zu verbieten. Hierfür zuständig war die Polizeibehörde des Amtes Birkenwerder. An sie mussten die Veranstalter Anträge über Ort, Teilnehmer, Zeitpunkt und Dauer sowie die Programme der Tagungen einreichen. Die Beamten waren angewiesen, das Heim ständig zu beobachten und gegebenenfalls zu berichten. Es gehörte dabei zur Perfidität der antijüdischen Vertreibungspolitik, dass Veranstaltungen, die sich inhaltlich gegen eine Auswanderung wandten, sofort aufgelöst bzw. verboten werden sollten (Anordnung der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Potsdam vom 6. Juni 1935). Ausnahmen fanden Kulturorganisationen des Reichsbundes jüdischer Kulturverbände, Sportvereine und zionistische Organisationen.

Die geistige und praktische Vorbereitung einer möglichen Auswanderung nach Palästina oder Diskussionen über Inhalte und Ziele des Zionismus rückten nach 1933 konsequent in den Mittelpunkt der Jugend- und Erwachsenenarbeit.

Abb. 2. Lehrer-Tagung der Mittelstelle für Jüdische Erwachsenenbildung bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland in Lehnitz mit Ernst Simon und Martin Buber, 1934. Alle Bilder: Jüdisches Museum Berlin

Im Oktober 1935 hielt die Zionistische Vereinigung für Deutschland ein Schulungsseminar in Lehnitz für ihre Mitarbeiter ab. Die zionistische Schulungs- und Erziehungsarbeit, Palästina in der zionistischen Propaganda, die Kolonisation Palästinas und die Situation der deutschen Judenheit waren die Themen. Ein Teilnehmers beschrieb die Atmosphäre: “Man diskutiert nicht nur. Man singt. Dieses Leben ist nicht nur ernst; es ist auch schön. Man kommt diesem schönen Leben und der Gemeinschaft näher, wenn man durch die schwermütigen oder mitreißenden palästinensischen Weisen etwas vom Dufte des Landes in sich saugt. Man lernt nicht nur um trockenen Wissens willen, sondern man fühlt, wie hier in gemeinsamer Aussprache, im gemeinsamen Lied, bei gemeinsamer Mahlzeit, beim Spaziergang, bei allen Lebensäußerungen dieser zusammengewachsenen Gruppe, die größere Kraft des Herzens sich äußert, die nach Erneuerung, Umgestaltung und Wiedergeburt des jüdischen Volkes, der jüdischen Seele strebt.”

Abb. 3. Hans Friedenthal, der Vorsitzende des Bar Kochba-Hakoah, spricht zur Eröffnung der Saison auf dem Sportplatz Berlin-Grunewald, Juni 1935

Auch die in Lehnitz zusammengekommenen Funktionsträger des Deutschen Makkabikreises e.V. Verband jüdischer Turn- und Sportvereine Deutschlands stellten mit seminaristischen Lehrgängen in Arbeitsgruppen die zionistischen Ideen in den Mittelpunkt: Der Makkabi als zionistische Bewegung, die Makkabi-Bewegung, Training und Leistung, vier Epochen jüdischer Geschichte, das Land Palästina und die Geschichte des Zionismus. Für die Vorträge hatten die Organisatoren kompetente Persönlichkeiten gewonnen. Zu nennen sind hier Dr. Hans Friedenthal (Präsident des Deutschen Makkabikreises), Paul Lewinson (Mitglied des Präsidiums des Deutschen Makkabikreises und Schatzmeister des Makkabi-Weltverbandes), Dr. Alfred Rabau (Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Berlin, Mitglied des Reichsausschusses jüdischer Sportverbände und Vorsitzender des 1898 gegründeten Turnvereins Bar Kochba Berlin), Dr. Bernhard Hardi Swarsensky (Bundesleiter des jüdischen Pfadfinderbundes Makkabi-Hazair).

Der Name Makkabi ist dem jüdischen Freiheitskämpfer Judas Makkabäus aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. entlehnt. Die Gründung des Deutschen Makkabikreises vollzog sich im Zeitraum 1919 – 1921. Zu dieser Zeit gab es bereit eine zwei Jahrzehnte andauernde jüdische Turngeschichte, die ihr Geburtsjahr 1898 mit der Gründung des Turnvereins Bar Kochba Berlin besaß. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sah die Makkabi-Bewegung ihre strategische Aufgabe darin, vermittels einer jüdischen Sportbewegung die Stärkung der jüdisch-kulturellen Identität zu befördern. Gegen Ende der 1920er Jahre bewirkte nicht zuletzt der zunehmende radikale Antisemitismus der Nazis eine immer stärker werdende „Zionisierung“ des Deutschen Makkabikreises. Spätestens bis 1933 stellten die Verbände in allen sportlichen Aktivitäten zunehmend die Perspektive der Palästinaauswanderung in den Vordergrund. Erster Höhepunkt der Arbeit des Makkabi war die, vornehmlich vom deutschen Kreis getragene, Vorbereitung und Durchführung der ersten Makkabiade bei Tel Aviv 1932, durch welche die Stellung des Makkabi in der zionistischen Weltbewegung erheblich gestärkt wurde.

Abb.4. Aufmarsch der Sportler und Sportlerinnen des Bar Kochba Berlin bei den 15. Leichtathletikmeisterschaften des Makkabikreises in Deutschland, 1936

Die von dem Nazi-Regime verfolgte Ausgrenzungspolitik der jüdischen Deutschen aus dem öffentlichen Leben stellte die jüdische Sportbewegung vor schwierigen Aufgaben. Ziel war es, möglichst viele Kinder und Jugendliche durch eine sportliche Betätigung auf die körperlichen und seelischen Belastungen einer Auswanderung vorzubereiten. Das ging nur über die Schaffung von neuen Strukturen für den Wettkampfsport, also der Gewinnung und Ausbildung von Funktionären, Trainern, Lehrern und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ein regelmäßiger Sportbetrieb für die jüdische Jugend sollte darum vor allem dort organisiert werden, wo es bis dahin noch keine Vereine gegeben hatte. War vor 1933 noch eine Minderheit der deutschen Juden in den jüdischen Sportverbänden organisiert gewesen, so stieg die Anzahl der Vereine im Jahre 1935 auf 136 mit 21.500 (andere Quellen geben 18.000) Mitgliedern an.

Abb. 5. Sportler und Sportlerinnen mit Fahnen auf dem Sportplatz Berlin-Grunewald bei den 15. Leichtathletikmeisterschaften des Makkabikreises in Deutschland

Im April 1935 hatte die zweite Makkabiade mit 40.000 bis 50.000 Besuchern und 5.000 Sportlern aus 30 Ländern bei Tel Aviv stattgefunden. Zugleich bereiteten deutsche Sportpolitiker die Olympiade 1936 in Berlin vor. Eine Teilnahme jüdischer Sportler aus Deutschland kam dabei für sie nicht in Frage.

Für die Lehnitzer Tagungsteilnehmer lagen der Novemberpogrom 1938 und die verbrecherische Ausrottungspolitik gegen das europäische Judentum im Zweiten Weltkrieg noch nicht im Bereich menschlicher Vorstellungskraft. Sie hatten aber bereits erkannt, dass eine menschenwürdige Existenz in Deutschland für Juden immer unmöglicher werden würde und die Auswanderung das Ziel sein musste. Von einem Zionistenseminar im September oder Oktober 1937 berichtete Frieda Glücksmann, Leiterin des Jüdischen Erholungsheimes, in einem ihrer Rundbriefe: “Ich hatte das Gefühl, dass dieses dritte Seminar ein Höhepunkt war in unserer bescheidenen Geschichte, den man bewusst erlebt. Das Inselhafte von Lehnitz, alles Menschen mit einer gleichen Weltanschauung, mit einem gleichen Ziel, mit der Sehnsucht nach dem Judenstaat, und der Angst, wie erfüllt er sich. Dazu ein traumhaft schöner Herbst, Sonne, blauer Himmel und eine Buntheit der Bäume, wie ich sie kaum je erlebt habe.” Bis Ende 1939 wanderten über 18.000 jüdische Kinder und Jugendliche ohne ihre Eltern nach Palästina aus.