Bollwerk Lehnitz und Badestelle „Bolli“
Von Bodo Becker
Bevor man die beliebte Badestelle „Bolli“ erreicht, kommt man an einer kleinen Wiese vorbei, deren höher gelegener Uferstreifen nicht zum Baden einlädt, weil man hier bereits nach wenigen Schritten ins Wasser den Grund unter den Füßen verliert. Hundebesitzer, die ihre Vierbeiner ein erfrischendes Bad gönnen, oder Angler nutzen diesen Uferbereich dagegen gerne. Gegenwärtig lässt der gesunkene Wasserspiegel sonst nicht sichtbare, unter der Wasseroberfläche liegende, hölzerne Befestigungen erkennen. Sogar Reste von Ziegelsteinen ragen aus dem trockenen Ufersand hervor.
Die hier sichtbaren Artefakte sind Zeugnisse menschlichen Wirkens vor über hundert Jahren bis 1945. Denn bis zu diesem Zeitpunkt existierte hier ein hölzernes Bollwerk, an dem Schiffe anlegen konnten. Seinen Ursprung hat es in den Kanalbauten für die Einbindung des Lehnitzsees in den Schiffsverkehr auf der Havel. Unmittelbarer Auslöser war zunächst ein Phänomen, das im Zusammenhang mit der Industrialisierung der neuen Reichshauptstadt Berlin stand – die zunehmende Freizeitflucht der Großstädter in die umgebende Natur. Nach einer 6-tägigen Arbeitswoche kamen Arbeiter und Angestellte aus der Hauptstadt an den Wochenenden mit den Zügen des seit 1891 aufgenommenen Vorortverkehrs an den Lehnitzsee. In der Presse kritisierte man die fehlende Schiffbarkeit des Lehnitzsees: „Von den Vergnügungs-Gaststätten in der Umgebung nimmt das neu errichtete Restaurant ‚Zum Seelöwen’ am Lehnitzsee den ersten Rang ein. Am letzten Sonntag war dieses Lokal von Tausenden von Besuchern aus unserer Stadt, der Umgebung und Berlin besucht. Namentlich übte der Aussichtsturm eine große Anziehungskraft auf alle aus. Leider aber müssen sich die Wassersport liebenden Besucher damit begnügen, dass sie den See nur von der Terrasse und vom Ufer aus besehen dürfen. Hoffentlich tritt hier bald mal eine Änderung ein.“ (Oranienburger General-Anzeiger, 21. 6. 1892) Ein Unternehmen ergriff hier die Initiative, um Abhilfe zu schaffen. Natürlich geschah dies nicht ohne Eigennutz, wie sich schon wenige Jahre später herausstellen sollte. In den Jahren 1895/96 begradigte und vertiefte die Firma „Gustav Ebell & Co.“ das bogenreiche Lehnitzfließ, welches den Lehnitzsee mit der Havel verband. Über das kanalisierte Gewässer konnten jetzt der Berliner und Oranienburger Schiffsverkehr von der Havel den Lehnitzsee erreichen.
Das Lehnitzfließ bekam praktisch den Charakter eines Privatkanals, dessen Anlage und Erhaltung sich über Gebühren und Pachten finanzierte. Die Eisenbahnbrücke für die Nordbahn über das Lehnitzfließ hatte man 1872 bereits so konzipiert, dass sie eine spätere Verbreiterung zuließ. Nun konnten benötigte Baumaterialien für die Lehnitzer Siedlungs- und Verkehrsbauten über die neue Wasserstraße an das südöstlich gelegene Lehnitzer Ufer transportiert werden, wozu die Kanalbaufirma unser Bollwerk anlegte. Seine letzte intensive Nutzung erfuhr es 1944 beim Bau der Lehnitzer Schule, wo hier die Steine angeliefert wurden. Die Lehnitzer Helfer luden sie von den Lastkähnen in Loren um, die dann auf Schienen an die Baustelle fuhren. Die schon oben erwähnten Ziegelsteinreste zeugen von dieser schweren Arbeit. Wie ein Foto zeigt, gingen die kleinen und großen Lehnitzer Badefreunde bereits zu jener Zeit neben dem Bollwerk ins Wasser.
Mit großer Wahrscheinlichkeit besaß die Badestelle als kleine Schwester des Bollwerks schon damals den liebevollen Spitznamen „Bolli“. Das nicht mehr benötigte Bollwerk geriet dagegen in Vergessenheit und erhielt erst um 1960 als letzter Ruheplatz eines hölzernen Lastkahns mit seinem Eigner neue Aufmerksamkeit. Im Sommer nutzten ihn nun Jugendliche als willkommene Sprungmöglichkeit ins Wasser. Darüber hinaus rief der alte Kahn mit seinen Gerüchen nach Teer und Holz sowie seinen Luken, hinter denen sich dunkle, muffige Räume befanden, abenteuerliche Seefahrerfantasien hervor, die ihn zu einem spannenden Spielort machten. Der alte Schiffer fand sich mit dem lebendigen Treiben nach anfänglichem Widerstand ab und erst die jeweils nachfolgenden Winter ließen eine trügerische Ruhe einkehren. Denn das drückende Eis brachte den maroden Bootskörper immer mehr in Gefahr, so dass der in der Kälte, im Inneren ausharrende Bewohner an einem noch dunklen Wintermorgen 1971 von der Lehnitzer Freiwilligen Feuerwehr aus der Kajüte gerettet werden musste. Mit der einsetzenden Eisschmelze sank der Leck geschlagene Kahn und nur noch seine Oberbauten ragten aus dem Wasser. Im Frühjahr 1972 zog dann schwere Technik die auseinander gebrochenen Einzelteile mit Stahlseilen, die man um den Stamm einer in Fluchtlinie an der Florastraße stehenden Eiche geschlungen hatte (noch heute kann man die vernarbten Schleifspuren am Baumstamm erkennen), auf Land. Nach diesen aufregenden Geschehnissen vor vier Jahrzehnten gehörte der Uferstreifen nun wieder den Hunden und Anglern.
Die Infos findet man auch unter der Rubrik Tourismus auf unserer Seite
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