Lehnitzer Geschichten: Erholung und Gaststätten in Lehnitz. Teil 1

Erholung und Gaststätten in Lehnitz. Teil 1. Von „Fritze Lehmann“ bis „Bade-Müller“
Von Bodo Becker

Die Lehnitzer Gaststätten-Landschaft zeigt sich gegenwärtig bescheiden. Ein Blick in die Zeit
vor über hundert Jahren zeigt uns eine gänzlich andere Situation und Entwicklung. Noch in
den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts besaß Lehnitz acht größere und kleinere Gaststätten
unterschiedlichen Niveaus. Die stürmische Entwicklung der neuen Reichshauptstadt Berlin
nach 1871 ließ den ehemaligen Gutsbezirk Lehnitz zu einem attraktiven Erholungs- und
Wohnort werden. Als 1891 der Vorortverkehr eröffnet wurde, setzte eine Entwicklung ein, die
bis in unsere Zeit den Charakter unserer Gemeinde bestimmt. Nicht nur zahlreiche, auch heute
noch sehenswerte, Villen entstanden, sondern Lehnitz wurde auch infolge seiner herrlichen
Lage an Wald und Wasser das Ziel vieler Erholung suchender Berliner. Ärzte empfahlen
erholungsbedürftigen (und finanzkräftigen) Familien Lehnitz als Sommeraufenthalt. Einige
der ortsansässigen Hauseigentümer vermieteten Sommerwohnungen; Gaststätten ohne
Pension waren undenkbar. In dem 1896 erschienenen Buch ‚Märkische Streifzüge’ zeigt der
Verfasser August Trinius die Entdeckung unseres Ortes auf: „Jahrzehnte lang war Lehnitz
noch vergessener als ehedem, bis eines Tages die Berliner Prozessionsraupe hier erschien,
um sich nun allsommerlich einzupuppen und bei Kiefernduft, Kuhmilch und erfrischender
Seeluft ein gar vergnügliches und beschauliches Leben zu fristen… Auch in Lehnitz regt es
sich jetzt des Sommers, und unheimlich schlagen dort die Leute von den Ufern der Spree und
Panke dem ahnungslosen Wanderer an's Ohr. Als wir zum Mittag dort im Gasthause (damals
Restaurant Lehnitz-See, heute das griechische Restaurant) eintrafen und unter den prächtigen
Bäumen vor der Tür des Hauses uns niederließen, saß bereits oben auf der Plattform der
steinernen Freitreppe eine recht animierte, bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft echt
Berliner Typen, welcher sich noch ein Förster aus der Nähe zugesellt hatte…“

Abb. 1. Restaurant “Lehnitz-See” von Friedrich Lehmann. Postkarte, vor 1914

Die Eigentümer des Gutsbezirks, die Unternehmer Gustav und Karl Grütter, müssen das
Gutshaus bereits Ende der 1870er Jahre verkauft haben, denn schon 1880 empfiehlt der neue
Hausbesitzer, R. Niegisch, sein Restaurant Lehnitz-See: „Durch eine vorzügliche und
preiswerte, unter Leitung eines Koches stehende Küche, durch Verabreichung guter
Getränke, sowie durch aufmerksame Bedienung werde ich auch ferner bestrebt bleiben, mir
die Gunst der geschätzten Berliner zu sichern.“ Bahnhofsnähe, eine Dampferstation am nahe
gelegenen Lehnitzkanal (verband die Havel mit dem Lehnitzsee) sicherten der Gaststätte
ausreichend Gäste. Ab 1900 übernahm Friedrich Lehmann als neuer Eigentümer die
Gaststätte und baute sie weiter aus. Fremdenzimmer (Übernachtung ab 3,50 Mark), eine
Kegelbahn, ein Saal und eine Radfahrerstation (!) sollten weitere Gäste anziehen.
Berliner, die mehr Waldabgeschiedenheit suchten, kehrten in das Restaurant Waldschloss von
E. Graf in der Dianastraße ein.

 Abb. 2. Postkartenausschnitt, vor 1914, Restaurant an der Dianastraße (vor 1906)

Auch hier wird hungrigen und müden Gästen ein bürgerlicher Mittagstisch, Kaffee (Portion
0,25 Pfennig) und bei Bedarf ein Fremdenzimmer (ab 3,00 Mark) geboten. Dieses Haus hat
den Zweiten Weltkrieg leider nicht überstanden.

Abb. 3. Postkartenausschnitt, um 1930

Abb. 3. Postkartenausschnitt, um 1930, Hölzerner Jugendstil-Eingang zur Badeanstalt, Mitte Inh. Karl Müller Restaurant Seebad Lehnitz (Ausschnitt aus Postkarte, Mitte 1930er Jahre)

Den damals schon Wassersport begeisterten Berliner zog es in den heutigen Badeweg. Hier
lagen in den 1880er Jahren die Anfänge des organisierten Badens im Lehnitzsee bis zum Ende
des Zweiten Weltkrieges. Begonnen hat alles mit einer roh gezimmerten, mit Rohr
verkleideten Bretterbude, ausgestattet mit einer einfachen Bank von Karl Müller. Männlein
und Weiblein hatten natürlich getrennte Badezeiten, für deren Einhaltung sich ein maritim
gekleideter Lehnitzer (genannt Admiral), bewaffnet mit einem Fernglas, verdient gemacht hat.
Am Pfingstsonntag 1893 wurde das Seebad Lehnitz eröffnet. Eine vorliegende Bauzeichnung
aus dieser Zeit (hier wird noch Karl Grütter als Eigentümer angegeben) vermittelt uns eine
Vorstellung von der Größe und Schönheit der hölzernen Badeanstalt. Ein als Park gestalteter
Platz (er musste später der Gaststätte mit Pension, Friedrich-Wolf-Straße 54, weichen) befand
sich vor dem Eingangsgebäude mit der Kasse und den Gasträumen. Über den reichlich mit
hölzernen Jugendstil-Ornamenten ausgestalteten Eingangsbereich erreichten die Besucher die
nach Geschlecht getrennten, abgeteilten Badebereiche.

Abb. 4. Postkarte, vor 1921

Abb. 4. Postkarte, vor 1921, Seebad Lehnitz “Damenbad”

Die Ausbaggerungsarbeiten für den Großschifffahrtsweg hatten den Wasserspiegel gesenkt,
so dass bis 1912 ein herrlich langer Strand entstanden war. Für frierende kleine Badenixen
gab es einen besonderen Service. Die Mutter von Karl Müller eilte in solchen Fällen sofort ins
Haus, um mit einem Schwaps heißen Wassers aus dem Teekessel, die kühlen Fluten
anzuwärmen. 1921 musste der Sprungturm abgerissen werden. Die Zeit der aufgesetzten
Prüderei war vorbei und so konnte die ganze Familie nun gemeinsam, ohne Trennung, in den
Lehnitzsee. Das Seebad mit dazugehöriger großer Gaststätte erfuhr mehrere Umbauten in den
Jahren 1924, 1932 und 1935.

Abb. 5. Postkarte, um 1935

Abb. 5. Postkarte, um 1935, Seebad Lehnitz

Im Jahre 1933 kam es zu einem Tausch zwischen der Gemeinde und Karl Müller. Er bekam
dadurch zwei Parzellen am Wasser, auf deren Besitz er großen Wert gelegt hatte. Konnte er
doch dadurch seine Badeanstalt vergrößern. Am Tausch hing die zusätzliche Verpflichtung,
die Erweiterung bis 1936, dem Jahr der Olympiade, vorzunehmen und für die Lehnitzer einen
Vorzugspreis zu machen. Die Badebereiche wurde zur Seeseite hin geöffnet, Anlegestege und
Bootshäuser für Wassersportler angelegt. Große Terrassenfenster gestatteten aus den so
genannten Erfrischungshallen die Sicht auf den See. Leider fiel dieser Anziehungspunkt für
die Wassersportler und Badefreunde am 9. Juni 1947 einem Brand zum Opfer. Die Gaststätte
(im Volksmund Bade-Müller) existierte noch bis in die fünfziger Jahre hinein.