Lehnitzer Geschichten: Erholung und Gaststätten in Lehnitz Teil 2

Erholung und Gaststätten in Lehnitz. Teil 2. Vom Seelöwen bis zur Mausebude
Von Bodo Becker

Lenkte der Besucher der Badeanstalt Seebad Lehnitz seine Schritte anschließend nach Norden, so erreichte er über die gepflegte Uferpromenade nach ca. 15 Min. das Restaurant Zum Seelöwen. Eine Postkarte (sie bestätigt einem Berliner Damenturnverein die geplante Übernachtung) aus dem Jahre 1897 gibt uns eine Vorstellung über das damals bereits großzügig angelegte Restaurant.

Abb. 1. Postkartenausschnitt, 1897. Archiv Verf.

Abb. 1. Postkartenausschnitt, 1897. Archiv Verf.

Gustav Grütter hatte das Gebäude 1892 erbauen lassen. Bis 1910 wirkte Gustav Jacoby als Pächter. Von ihm übernahm Karl Scheidt das Restaurant, der als längjähriger Oberkellner und Geschäftsführer großer Restaurants in Berlin auch die notwendige kaufmännische Erfahrung mitbrachte. Eine erfolgreiche Geschäftsführung ermöglichte den Ausbau des Hauses in den 1930er Jahren zu einem der größten Ausflugs- und Hotelrestaurants im Norden Berlins. Drei lange, mit Blumen ge¬schmückte Terrassen und überdachte Hallen boten mehr als 1000 Gä¬sten einen herrlichen Blick auf den Lehnitzsee. Ruderboote für eine Bootspartie auf dem Lehnitzsee konnten ausgeliehen werden. Im großen Biergarten fanden 4000 Gäste Platz. Hinzu kamen zwei große Säle für Gesellschaften. In kurzen Abständen legten die Passagierschiffe von fünf Reedereien an den Dampfer-Anlegestellen an und brachten die Berliner an die „Perle des Nordens“ – einen Beinamen, den Lehnitz in den dreißiger Jahren nicht zuletzt durch die Gastlichkeit und Größe dieses Hauses bekommen hatte.

Restaurant "Seelöwe", Mitte der 1930er Jahre

Restaurant “Seelöwe”, Mitte der 1930er Jahre, Abb. 2. Postkarte, um 1935. Archiv Verf.

Der Zweite Weltkrieg leitete auch das Ende dieses großen Unternehmens ein. Noch in den letzten Kriegstagen bombardiert, zerstörte ein Schadensfeuer im März 1946 die gerade errichtete Notgaststätte. Zugewachsene, zerfallene Terrassen, eine in das Nichts führende Treppe und Betonformsteine lassen heute nur noch mit viel Fantasie das vergangene Treiben erahnen. Am ersten Osterfeiertag 1948 eröffnete Karl Scheidt nur wenige Meter vom alten Standort entfernt das Restau¬rant Seeblick. Auch hier luden anfänglich drei Terrassen mit Blick auf den See und ein Saal mit großzügigem Ausblick in die umgebende Natur die Gäste ein. Anfang der 1990iger Jahren fiel die Gaststättenanlage einer Bebauung mit lukrativen Vorstadtvillen zum Opfer.

Abb. 3. Postkarte, um 1975. Archiv Verf.

Abb. 3. Postkarte, um 1975. Archiv Verf.

An der damaligen Kaiser-Wilhelm-Straße (ab 1953 Friedrich-Wolf-Straße) luden zwei Gaststätten ebenfalls zum Verweilen ein. Die Waldschenke befand sich an der Ecke Dianastraße. Wo heute Immobilien angeboten werden, betrieb Fritz Klemer sein Gasthaus. Hier tagte in den Anfangsjahren unseres Ortes als selbständige Gemeinde sogar zeitweilig der Gemeinderat. Als Café Central hauchte es dann in den 1970er Jahren sein Leben aus.
Im Südgelände gab es für aktive Wassersportler eine weitere Heimstatt. Am Bachstelzenweg 12-14 entstand 1930 die Gaststätte und das Wassersportheim Alte Havel (Inhaber Hermann Schulz).

Abb. 4. Postkarte, nach 1933. Archiv Verf.

Abb. 4. Postkarte, nach 1933. Archiv Verf.

Das Haus besaß Übernachtungsmöglichkeiten, große Gasträume und eine unmittelbare Anbindung an die alte Havel. Sie überstand den Zweiten Weltkrieg nicht. Nicht unerwähnt bleiben darf eine Einrichtung im Südgelände, die ebenfalls in erster Linie Natur- und Wasserfreunden Unterkunft und Möglichkeit zur Geselligkeit gab. Unmittelbar am Großschifffahrtsweg gelegen betrieb im Meisensteg 20-22 (heute Hilde-Coppi-Weg) in den dreißiger Jahren Erich Gaap einen Bootsstandsverleih mit einem Zeltplatz. Im Zweiten Weltkrieg erlangte das Unternehmen eine besondere Bedeutung für mutige Aktivisten gegen das nationalsozialistische Regime. Ein Widerstandskreis um Hans und Hilde Coppi hatte seit Ende der dreißiger Jahre seinen Sommeraufenthalt in Lehnitz genommen. Es waren junge Leute, die mit ihren Faltbooten auf den Gewässern im Norden Berlins (Raum Hennigsdorf, Velten) wanderten. Hier bei Erich Gaap besaßen sie ihre Bootsstände und Zeltunterkünfte. An den Wochenenden kamen immer viele junge Leute zur Erholung in der freien Natur zusammen. Die Widerständler der Gruppe Coppi nutzten die große Boots- und Zeltgemeinschaft für die Tarnung ihrer regelmäßigen Zusammenkünfte zur Vorbereitung der Widerstandstätigkeit. Im großen Bootsschuppen bewahrten sie u.a. konspirative Materialien in den persönlichen Schränken auf. Es gehört zu den Taten stillen Heldentums jener Zeit, dass mit Hilfe der Gaaps, besonders des Sohnes Horst, gefährliches Material nach der Verhaftung der Widerstandsgruppe aus den Schränken entfernt werden konnte. Nach dem Krieg entstand in dem vorhandenen Gebäude eine kleine, sehr gemütliche Gaststätte – das Bootshaus. Wassersportler, Ausflügler und Lehnitzer kehrten hier gerne ein. Leider schloss die Lokalität 1990 ihre Pforten.
Um die Einrichtung einer Gaststätte am Birkenwerderweg Nr. 1 (heute 14) gab es 1909 sogar eine gerichtliche Auseinandersetzung. Der als Sozialdemokrat offenbar bekannte Maurer Albert Rosenberg wollte auf seinem Grundstück eine Schankwirtschaft einrichten. In einem Brief an den Amtsvorsteher Willi Kühn in Birkenwerder sprach sich der damalige Gutsvorsteher Franz Manstein dagegen aus, weil er verhindern wollte, dass „unser Ort … zur Versammlung von Sozialisten benutzt wird“. Die Klage von Rosenberg gegen die Ablehnung wurde kostenpflichtig abgewiesen.

Abb. 5. Hotel und Café Seeschlösschen. Postkarte, vor 1914. Archiv Verf.

Abb. 5. Hotel und Café Seeschlösschen. Postkarte, vor 1914. Archiv Verf.

Auch die Freunde von Kaffeehaus-Atmosphäre brauchten in Lehnitz nicht auf die dazu gehörige Gastlichkeit zu verzichten. In der Florastraße 21 konnte man bei Kaffee und Kuchen sogar den Klängen einer Geige lauschen. Das heute noch sehenswerte Gebäude im Stil des Historismus aus den1890er Jahren beherbergte zusätzlich ein Hotel. Es trug den romantischen Namen Seeschlösschen. Nur wenige Schritte weiter bot sich das Café Hildebrandt in der Florastraße Nr. 9 seinen Gästen an. Hier und im See-Bad Lehnitz fanden in den kalten Monaten sogar Bibelstunden statt. Es ist nach 1945 zu einem Wohnhaus umgebaut worden. Rudolf Weiß lud in den dreißiger Jahren die Gäste in seine Konditorei an der damaligen Kaiser-Wilhelm-Straße ein. Der große Café-Garten machte den Aufenthalt bei schönem Wetter zusätzlich angenehm. Heute ist hier wieder ein gemütliches Café mit einem Eisladen entstanden.
Verließ man aus Berlin kommend den Bahnsteig nach Oranienburg, so musste man bis zum Beginn der 1960er Jahre an der Bahnhofswirtschaft vorbei. Hier trafen sich im echten Kneipenmilieu mit dicker Luft (auch als Bahnhofskneipe bezeichnet) die Konsumenten alltäglichen Feierabendbieres und hochprozentiger Spirituosen, Bockwurst und Bouletten mit einbegriffen. Kurioser Weise diente das Gebäude nach der Schließung für einige Zeit als Jugendclub. Unverwechselbar war bis 1991 ein Gasthaus, das auf Grund seines baulichen Charakters und seiner inneren Ausstattung weit über die Lehnitzer Ortsgrenzen hinaus bekannt war.

Abb. 6. Foto aus den 1950er Jahren. Archiv Verf.

Abb. 6. Foto aus den 1950er Jahren. Archiv Verf. “Schweizer Haus”, genannt “Mausebude”, 1950er Jahre

Die Rede ist von dem unmittelbar am Bahnhof liegenden Schweizerhaus – im Volksmund jedoch damals wie heute nur „Mausebude“ genannt. Auf einer Postkarte „Gruß aus Oranienburgs Bierquelle Nr. …“ aus dem Jahre 1903 wird sie neben weiteren Lehnitzer Restaurants als Stehbierhalle mit der Nr. 44 aufgeführt. Von einer Stehbierhalle vor hundert Jahren hatte sich die „Mausebude“ in eine gemütliche Gaststätte mit rustikalem Mobiliar, bleigefassten, bunten Butzenscheiben und gutbürgerlicher Küche verwandelt. Ein Brand setzte ihrer Existenz in der Nacht vom 30.11. zum 1.12. 1991 ein zeitweiliges Ende. Heute lädt das nachfolgend errichtete Schweizerhaus wieder seine Gäste ein. Der kleine Ausflug in die Geschichte Lehnitzer Gastlichkeit hat gezeigt, an welche Traditionen heutige und künftige Gaststätten anknüpfen können.