Großereignis auf dem Lehnitzsee

Ein sportliches Großereignis auf dem Lehnitzsee in zerrissener Zeit

Von Bodo Becker

Berlin im August 1936. Die Jugend der Welt trifft sich in der Hauptstadt des Deutschen Reichs zum sportlichen Wettkampf. Das nationalsozialistische Regime zeigt sich im Olympia-Sommer vor der Weltöffentlichkeit von seiner besten Seite: gastfreundlich – sportlich – modern. Seit dem 1. August brennt das auf dem Landwege nach Berlin getragene olympische Feuer weithin sichtbar in der Feuerschale des Olympia-Stadions. Der Reichssender Berlin strahlt weltweit Reportagen über das Sportgeschehen zu den Hörern aus. Zum ersten Mal können Zuschauer olympische Wettkämpfe in ca. 30 Fernsehstuben der Deutschen Reichspost in Berlin, Potsdam und Leipzig am Bildschirm verfolgen. Die Sportler des Gastgeberlandes erringen die meisten Medaillen vor den USA. Nach 18 Tagen erlischt das olympische Feuer. Das Regime geht zur Tagesordnung über und führt am 24. August die zweijährige Dienstzeit für die Wehrmacht ein.

Abb. 1. Ansichtskarte um 1935. Blick in Richtung Lehnitzer Ufer mit der Badeanstalt. Archiv B. Becker

Oranienburg und Lehnitz, vom Glanz der gerade zu Ende gegangenen Olympischen Spiele nur mittelbar betroffen, haben zu einer attraktiven Segelregatta auf dem Lehnitzsee am 22./23. August, dem ersten nacholympischen Wochenende, eingeladen. Nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt lassen die braunen Machthaber zur gleichen Zeit von Häftlingen das Konzentrationslager Sachsenhausen errichten. Doch davon sollen die vielen Zuschauer, die sich erwartungsfroh am Ufer des Lehnitzsees und auf den Terrassen der Ausflugsgaststätten einfinden werden, nichts merken. Die meisten von ihnen wollen sich das sportliche Ereignis ohnehin nicht verderben lassen. Veranstalter ist der Oranienburger Wassersport-Verein (OWV) im Auftrag des Deutschen Segler-Verbandes. Beteiligt sind 187 Segelboote des Bezirkes Tegel, zu dem auch die Lehnitzer und Oranienburger Boote gehören. Am Sonnabend treffen die Schleppzüge mit den Segelbooten ein. Der größte Teil macht an den Anlegestellen vom „Kameradschaftsheim“ der Auer-Gesellschaft bis zur Strandhalle fest.

Abb. 2. Archiv B. Becker

Die verbleibenden Boote kommen zum Bootshafen der Segler-Vereinigung Lehnitzsee (SVL) am Lehnitzer Ufer. Nach einer offiziellen Begrüßung von Seiten der Stadt und des OWV im großen Saal der Strandhalle verteilen sich die Segler auf die Bootshäuser in Oranienburg und Lehnitz zum gemütlichen Ausklang des ersten Tages.

Der Wettkampftag zeigt sich für Aktive und Zuschauer von seiner besten Seite: Sonne und leicht bewölkter Himmel mit Westwind, der in Böen bis zu 8 Meter/Sekunde über das Wasser treibt. Die Terrassen und Biergärten der unmittelbar am Wasser liegenden Restaurants sind mit zahlenden Gästen bis auf den letzten Plätzen besetzt. Vom Bootshafen des OWV, nah am Restaurant Seeterrassen Strandhalle gelegen, verläuft der Kurs zunächst in Richtung Süden bis zur Mündung des Großschifffahrtsweges. Von dort geht es um die erste Wendeboje zurück nach Norden, am Seebad Lehnitz und Restaurant Zum Seelöwen vorbei, bis zur Wendeboje in Höhe der Lehnitzer Zeltstadt am Weißen Strand. Mit Kreuzschlägen segeln die Boote zurück zum Bootshafen des OWV.

Abb. 3. Ansichtskarte, 1936. Rechts „Weißer Strand“. Archiv. B. Becker

Allein beim Jugendwettbewerb beteiligen sich in fünf Bootsklassen 42 Teilnehmer, darunter mit 15-Quadratmeter-Rennjollen. Besonderes Gedränge gibt es immer an der Südboje, wo es dann auch zu einigen Zusammenstößen kommt. Der starke Wind fordert mit sechs gekenterten Booten und einem Mastbruch zusätzlich seinen Tribut. Für den gastgebenden Verein wird die Regatta zu einem vollen Erfolg. Er kann in der Gesamtwertung den zweiten Platz hinter dem Jörsfelder Segel-Club einnehmen. Die erfolgreichsten Segler, die Gebrüder Lockowandt, kommen aus Oranienburg. Ihr Boot geht mit drei Minuten Vorsprung über die Ziellinie. Das schnellste Boot, eine Rennjolle des Jugendwettbewerbs mit Steuermann H. Pabst (Borgsdorf), wird ebenfalls vom Oranienburger Verein gestellt. Über eine Lautsprecheranlage werden die Zuschauer über den jeweiligen Verlauf der stattfindenden Wettbewerbe informiert. Für die Sieger und Platzierten haben die örtliche Wirtschaft und Privatpersonen Preise gestiftet. Dazu gehören u.a. die Seeterrassen Strandhalle und das Seebad Lehnitz, der Oranienburger Verkehrsverein, die Oranienburger Bank und die Oranienburger Stadtsparkasse. Als erstplatzierter Verein bekommt der Jörsfelder Segel-Club den neu gestifteten Wanderpreis der Stadt Oranienburg in Gestalt eines Gemäldes des Oranienburger Schlosses.

Abb. 4. Artikel-Foto OGA, 24. August 1936. Archiv B. Becker

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs steht der Lehnitzsee immer wieder im Mittelpunkt des Wassersports. Ein Werbefilm des städtischen Verkehrsamtes zeigt das jährliche Regatta-Geschehen mit der Preisverleihung im August 1937.

Abb. 5. Ansichtskarte aus Deutschland-Bildheft „Oranienburg und Umgebung“. Archiv B. Becker

Auch im Sommer 1939 führen die SVL, der OWV und der Tegeler Segelclub ‚Freia’ ihre traditionelle Regatta auf dem Lehnitzsee durch. Hier gehen 45 Boote aller Klassen in fünf Runden an den Start. Die Aktiven und Zuschauer ahnen nicht, dass diese Regatta die letzte Veranstaltung bis zum heutigen Zeitpunkt sein sollte. Dänische Ruderer sind Gäste des veranstaltenden OWV. Die sechs Sportler des Kopenhagener Ruderclubs nehmen am 1. August auf ihrer Deutschlandfahrt Quartier im Bootshaus des Vereins, wo sie herzlich begrüßt werden. Der Vorsitzende des OWV, Carl Freyhoff, überreicht den Gästen die Vereinsfahne und wünscht ihnen einen erfolgreichen Verlauf der Rundfahrt. Seine an die Gäste gerichteten Worte: „Deutschland wolle nichts als sein Recht auf das Leben und im übrigen wünsche es, in Ruhe gelassen zu werden“ (OGA, 02.08.1939), müssen den dänischen Sportlern nur wenige Tage später wie Hohn in den Ohren nachgeklungen haben. Am 1. September überfällt Nazi-Deutschland Polen und löst damit den Zweiten Weltkrieg aus. Im April 1940 besetzen deutsche Truppen das neutrale Dänemark.

Abb. 6. Ansichtskarte, um 1935. Archiv B. Becker