Verjüngungskur für eine Achtundfünzigjährige

Von Bodo Becker

Da staunten die Spaziergänger nicht schlecht, als sie ab dem 15. Januar 1998 nur die beiden Schleusentürme in den Himmel ragen sahen. Damit hatte das Wasserbauwerk sein weithin sichtbares Alleinstellungsmerkmal zeitweilig verloren.

Abb. 1. Im Vordergrund der Schleusenkammer ist der aus dem Wasser ragende Revisionsverschluss erkennbar. Alle Abb. Archiv B. Becker

Denn nicht nur deren Zustand machte eine umfassende Rekonstruktion erforderlich, sondern auch die für den Betrieb erforderlichen elektrischen Steuerungs- und Antriebsaggregate bedurften zwingend einer technologischen Modernisierung. Die geplante Baumaßnahme an der 1940 eingeweihten Lehnitzschleuse (amtlich Lehnitz Schleuse II), die den 5,65 Meter Höhenunterschied zwischen dem Lehnitzsee und der nachfolgenden Scheitelhaltung bis zum Schiffshebewerk Niederfinow überwinden lässt, brachte die Schifffahrt auf der gesamten Havel-Oder-Wasserstraße zum Erliegen. Ein Revisionsverschluss, bestehend aus 180 Stahlrohren (sogenannte Nadeln mit zwölf Zentimeter Durchmesser), dichtete die Schleusenkammer vom Wasser ab. Nach dem Rückbau von Brücke und Dach zwischen den beiden Schleusentürmen und dem Entfernen von Gegengewichten hatte ein riesiger Kran die in zwei Teilen zerlegte, sechzig Tonnen schwere, Torwand an Land gehievt. Das fehlende Hubtor gestattete den Zuschauern nun einen Blick in die gähnende Leere der 134 Meter langen und nicht ganz 12 Meter breiten Schleusenkammer.

Abb. 2. Blick in die geleerte Schleusenkammer in Richtung Oberwasser mit dem Klapptor

Ohne neugierige Blicke vollzog sich der Einbau der neuen elektronischen Steuerung, Hydraulik und Antriebe für den Betrieb der Tore. Nach fast dreimonatiger Bauzeit erhielt das Bauwerk sein gewohntes Aussehen mit Brücke und einem neuen Hubtor wieder. So konnte am 19. März mit dem Füllen der Schleusenkammer begonnen werden. Vier Tage später warteten 20 Schiffe in beiden Vorhäfen darauf, um mit dem geplanten Beginn des Probeschleusens das Nadelöhr zu überwinden. Doch daraus wurde zunächst nichts, denn bislang war es nicht gelungen, die etwa 70 Schalter der hydraulischen Hubeinrichtung genau aufeinander abzustimmen. Endlich, Anfang April, stand man kurz vor dem Ziel. Nach den seit einigen Tagen laufenden Probeschleusungen bekamen die funktionellen Abläufe der Schleuse nun ihre letzte „Feinprogrammierung“. Ein Richtmeister der ausführenden Firma „Krupp Stahlbau Hannover“ vollzog die notwendigen Einstellungen. Dazu gehören die beiden Schleusentore, von deren genauen Funktionieren das reibungslose Durchschleusen abhängt. Dabei wird das Klapptor am Oberwasser nur geöffnet, wenn die Schleusenkammer gefüllt ist. Die Füllung erfolgt dann im Betrieb über die kurzen Umläufe am Fuß des Tores.

Abb.3. Klapptor am Oberwasser mit den Umläufen zum Füllen der Schleusenkammer

Abb. 4. Füllen der Schleusenkammer auf die Scheitelhaltung des Oberwassers

Mit dem Anheben des Hubtores geschieht dann das Leeren der Schleusenkammer. Dieses Anheben bedarf einer Feinjustierung, denn ein zu schnelles Öffnen könnte katastrophale Folgen verursachen. Der kraftvolle Sog würde die Schiffe nicht beherrschbar aus der Schleusenkammer mit sich ziehen. Für die ersten 65 Zentimeter Zughöhe benötigt das Hubtor darum sechs Minuten, um den Wasserstand in der Schleusenkammer auf Lehnitzseehöhe abzusenken. Ist das geschehen, kann das zwölf mal elf Meter große Tor die restlichen Meter schneller angehoben werden. Auch der vorhandene Stoßschutz für die Tore erfordert genaue Abstimmung. Zwei Bremszylinder spannen blitzartig ein Seil, wenn es von einem zu schnell in die Schleusenkammer hinein fahrenden Schiff berührt wird. So wird eine Kollision mit dem Tor verhindert. Mit der innovativen Technik steuert nur noch ein Schichtleiter von einem zentralen Steuerstand aus mit zwei Knöpfen die 20 Minuten andauernden Schleusenvorgänge. Verschiedene Kameras ermöglichen den Blick über die gesamte Anlage. Für 2014 wies die Schleusenstatistik 5482 Güterschiffe, 10784 Sportboote und 242 Fahrgastschiffe nach.