Vorführdame und Widerständlerin – Ina Ender in Lehnitz

Vorführdame und Widerständlerin – Ina Ender (Lautenschläger). Mit einem Erinnerungsbericht von Ina Ender aus dem Jahre 2000

Von Bodo Becker

Abb 1. Ina Lautenschläger. Alle Abb. Archiv B. Becker

Eine schöne Frau schaut selbstbewusst in die Kamera. Es ist Ina Lautenschläger, die sich hier für eine Modezeitschrift präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 24 Jahre alt und hat eine von den politischen Umständen bestimmte Schul- und Berufszeit hinter sich. Die in Berlin-Kreuzberg im Jahre 1917 in einem kommunistischen Elternhaus Geborene besuchte nach der Minna-Cauer-Schule in Neukölln als erstes Mädchen die Reformschule Insel Scharfenberg im Tegeler See. Hier lernte sie u.a. Hans Lautenschläger und Hans Coppi kennen, die ihre Bereitschaft förderten, sich an antinazistischen Aktionen zu beteiligen.

Die Machtübernahme der Nazis 1933 veränderte das Leben der Schülerin schlagartig. Ihre Freistelle am Gymnasium wurde gestrichen, so dass sie es ohne Abschluss verlassen musste. Ohne Chance, eine Lehrstelle zu bekommen, erhielt sie von der Mutter eine Ausbildung zur Schneiderin. Die Achtzehnjährige arbeitete anschließend in einer Textilfabrik, ab 1936 als Näherin in einer Damenschneiderei. Im gleichen Jahr heiratete sie Hans Lautenschläger, der sich im aktiven Widerstand gegen das Nazi-Regime befand. Er brachte seine Frau in Kontakt zu Berliner Widerstandsgruppen, die von der Gestapo später zusammenfassend als Rote Kapelle bezeichnet wurden, weil sie mobile Funkkontakte mit der Sowjetunion betrieben. Einige der Widerständler trafen sich, als Wassersportfreunde getarnt, auch in Lehnitz, wo sie Aktionen besprachen und vorbereiteten. Zu jener Zeit wurde der Fotograf Hanns Hubmann auf die attraktive Frau aufmerksam. Hubmann arbeitete u.a. für die Berliner Illustrierte Zeitung und veröffentlichte Mode-Fotografien von seiner Entdeckung, die so in der Modewelt bekannt wurde. So kam es, dass die Näherin ab 1937 als Fotomodell und Vorführdame bei Konfektionsbetrieben, beim Metropol-Theater und der Filmgesellschaft UFA tätig war.

Eine besondere Bedeutung erhielt die Arbeit seit 1939 im Berliner Modesalon Heise. Hier ließen Ehefrauen von hohen Nazi-Würdenträgern, Militärs und Diplomaten und auch UFA-Filmstars Heise-Modelle für sich anfertigen. Ina L. hatte sich hier als Vorführdame und Verkäuferin nach Anregung von Harro Schulze-Boysen, der gemeinsam mit Arvid Harnack Widerständler führte, auf eine Annonce hin beworben. Die zielgerichtete Lancierung wurde ein Volltreffer für das angestrebte nachrichtendienstliche Abschöpfen, denn die mondäne Atmosphäre des Modesalons, die fachkundige Betreuung von Seiten der Vorführdame und so manches Likörchen machten die prominenten Kundinnen gesprächig. So erfuhr die nette Beraterin von möglichen Staatsgeheimnissen, Terminen, Reisedaten und –ziele der Gatten, von Neid und Missgunst der braunen Schickeria untereinander, aus denen man Veränderungen im Machtgefüge des Herrschaftsapparates ablesen konnte.

Fast jede Woche traf sie sich mit ihrem Kontaktmann, dem Jugendfreund Hans Coppi, in der Wohnung ihrer Mutter, wo die Erkenntnisse weitergegeben wurden. Im Herbst 1941, drei Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, ergab sich für Ina L. ein besonders brisanter Auftrag. Der Berliner Modellring – ein Zusammenschluss von Modesalons – veranstaltete eine Propagandareise in die besetzte Niederlande und Belgien. Ina L. gehörte zu den mitreisenden Vorführdamen, was eine offizielle Ausreise in die Hauptstädte ermöglichte. Unmittelbar vor der Abreise übergab Coppi ihr ein kleines Päckchen. Darin befanden sich militärische Informationen für die sowjetische Führung. In Brüssel überreichte sie das Päckchen einer polnischen Agentin, die das Material zum Funken weiterleitete. Der Auftrag war erfolgreich erfüllt. Im September 1942 geriet die mutige Frau in die Fänge der Gestapo. Wegen Beihilfe zur Wehrkraftzersetzung – die Kuriertätigkeit blieb unentdeckt – verurteilte sie das Reichskriegsgericht 1943 zu sechs Jahren Haft. 1945 kam die Befreiung durch die Rote Armee und für Ina Lautenschläger begann ein neues Leben. Doch das ist eine andere Geschichte. Ina Ender starb am 27. März 2008 in Lehnitz.

Erinnerungsbericht: Lehnitz – ein Ort am Rande der antifaschistischen Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“

Von Ina Ender. Herausgegeben u. bearbeitet von Bodo Becker

Für die Vorbereitung der Lehnitzer 650-Jahrfeier im Jahre 2000 erhielt ich als Zuarbeit die nachfolgende Niederschrift. Sie stellt eine authentische Quelle des Widerstandes in Lehnitz gegen den Nationalsozialismus dar. Ina Ender stellt dabei ihren persönlichen Beitrag in den Hintergrund.

Zu den politischen Kräften, die sich im Verlaufe der dreißiger Jahre zum aktiven Kampf gegen das Hitlerregime vereinigten, gehörte auch ein Kreis bürgerlicher Intellektueller um den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack, den Offizier im Reichsluftfahrtministerium Harro Schulze-Boysen und den Schriftsteller Adam Kuckhoff. Mit Beginn des Überfalls auf Polen im September 1939 kamen sie in Kontakt mit einer Gruppe junger Menschen, die sich ebenfalls im Widerstand gegen die Nazis um den Jungkommunisten Hans Coppi zusammengeschlossen hatten. Ihr Stamm waren Absolventen der Internatsschule Scharfenberg auf einer Insel im Tegeler See. Ihnen schlossen sich in der Folgezeit weitere antifaschistisch eingestellte junge Leute, Mädchen und Jungen, an. Hans Coppi war 1933 mit 17 Jahren einer der Jüngsten im KZ Oranienburg. Er besaß demnach bereits bittere Erfahrungen des brutalen Umgangs der Nazis mit ihren aktiven politischen Gegnern. Das kam der Gruppe zugute.

Unter strikter Anwendung konspirativer Regeln der illegalen Arbeit wandten sie sich immer wieder an die Öffentlichkeit, verfassten und verteilten Flugblätter und Klebezettel im Berliner Raum. Über alles wird intensiv diskutiert, festigen ihren antinazistischen Standpunkt und legen mit großer Sorgfalt ihre Aktionen fest. Wichtig ist in der Folgezeit, ihrer konspirativen Arbeit eine legale Tarnung zu verschaffen. So verlegen sie in den Sommermonaten ab 1937 ihre Zusammenkünfte nach Lehnitz. Der Ort ist den „Scharfenbergern“ von Schulfahrten bekannt, hier kennen sie sich gut aus. Und sie treten als harmlose „Wassersportgruppe“ auf, stellen ihre Faltboote im Bootshaus „Ägier“ der Familie Gaab unter und ihre Dauerzelte auf einer Wiese daneben. So verfährt die Gruppe bis Mitte September 1942, auch als der Großteil der Männer zur Wehrmacht eingezogen ist. Nur Hans Coppi ist als „Wehrunwürdiger“ vom Kriegsdienst ausgeschlossen und malocht in einem Rüstungsbetrieb. Daneben hält er die wichtige Verbindung zu Harro Schulze-Boysen aufrecht. Sie werden am 22. Dezember 1942 in der gleichen Stunde durch den Strang bzw. durch das Fallbeil in Plötzensee ermordet.

Wesentlichen Anteil an ihrem Entschluss, sich mit ihrer konspirativen Arbeit Lehnitz zuzuwenden, hat das mit ihnen sympathisierende Ehepaar Georg und Lotte Pinzke, das in unmittelbarer Nähe des Bootshauses „Ägier“ [im damaligen Wachtelsteg. B.B.] ein Grundstück besitzt.


Abb 2. Georg Pinzke

So war für die „Wassersportgruppe“ auch für familiären Anschluss gesorgt. Der Ablauf der Sonntage in Lehnitz war gewöhnlich so, dass wir vormittags immer gemeinsam in der Umgebung unterwegs waren, badeten, uns zusammensetzten, über die uns bewegenden Probleme diskutierten und für unsere weiteren Aktivitäten notwendige Absprachen trafen… In den Schränken im Bootshaus hatten wir illegales Material, Flugblätter, Zeitungen und Bücher aufbewahrt.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 verstärkte die Harnack-Schulze-Boysen Organisation ihre Arbeit gegen das nationalsozialistische Regime aufs äußerste. Sie sammelte Nachrichten und gab diese an die Sowjetunion weiter. Das Ziel war, den Zusammenbruch des Dritten Reiches zu beschleunigen und auf diese Weise Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien. Sie verstanden sich jedoch nicht als Spione für die Sowjetunion, sondern waren bestrebt, die Eigenstaatlichkeit Deutschlands zu erhalten und den Krieg so schnell wie zu beenden. Einer der Funker der „Roten Kapelle“, wie die Organisation später von der Gestapo genannt wurde, war Hans Coppi. Aus Sicherheitsgründen funkte er die von Harnack und Schulze-Boysen aufbereiteten und verschlüsselten Informationen aus verschiedenen Berliner Wohnungen.

Auch am Lehnitzsee kam es zu Funkversuchen. Hans Coppi sendete entweder direkt vom Boot aus oder er suchte sich am Ufer einen stillen Platz, was aber nicht immer gelang… Nach unserer Verhaftung (im September 1942) wurden wir vier Frauen – Hilde Coppi, Hanni Weißensteiner, Erika Gräfin von Brockdorff und ich – zur Gestapozentrale in die Prinz-Albrecht-Straße geholt und vor einen Riesenhaufen Bootsteile und Zubehör gestellt, auch der Inhalt der Schränke aus dem Bootshaus war dabei, und mussten das auseinanderpacken und jede das Seinige sortieren. Ich war nun darauf gefasst, anschließend des belastenden Materials in den Schränken wegen verhört zu werden. Es geschah aber nichts. Erst nach 1945 habe ich dann von Lotte Pinzke Folgendes erfahren: Sie wurde durch die Genossin Alice Hoffmann über unsere Verhaftung unterrichtet. Daraufhin ist sie sofort ins Bootshaus zu Gaabs gegangen und hat mit dem Sohn, Horst Gaab, unsere Schränke geöffnet, alles belastende Material heraus geholt, in einem Sack versteckt und diesen bei Dunkelheit mit Steinen beschwert in die Havel versenkt. Das war sehr entscheidend dafür, dass einiges an Belastung von unseren Freunden der „Wassersportgruppe“ ferngehalten werden konnte. 1944 holte Lotte Pinzke den in Haft von Hilde Coppi (ermordet am 5. August 1943) geborenen kleinen Hans zu sich nach Lehnitz, wo sie der Bombenangriffe auf Berlin wegen mit ihren Kindern Monika und Mario wohnte. Großmutter Frieda Coppi befürchtete, dass man ihr den Enkel unter irgendeinem Vorwand wegnehmen könnte. Hilfestellung bei der „Umsiedlung“ des kleinen zweijährigen Hans Coppi leistete der damalige Lehnitzer Bürgermeister Alfred Jacob, in dem er den Jungen in das polizeiliche Melderegister eintrug. Er wusste genau, wen er in die Lehnitzer Gemeinde einbürgerte. Seine von Menschlichkeit zeugende Courage in damaliger Zeit bleibt unvergessen. [Im Oktober 1945 beschließt der Gemeinderat die Umbenennung des Wachtelstegs in Hilde-Coppi-Weg. B.B.]

Wenn auch das Hauptfeld der Tätigkeit der Widerstandsgruppe um Hans Coppi zwischen 1935 und 1942, ab Ende 1939 im Rahmen der „Roten Kapelle“, in Berlin lag, so darf jedoch nicht unterschätzt werden, dass Lehnitz für die jungen Leute weitgehend Schutz vor neugieriger Beobachtung bot, wo sie wichtige Kontakte u.a. nach den Industriestandorten Hennigsdorf und Velten aufbauten und in relativer Ruhe ihre Aktionen vorbereiten konnten.

Abb. 3. Hans Coppi mit seiner Großmutter Frieda Coppi

Der Verfasser dankt Lutz Ender für die Unterstützung.

Mit dem Titel „KLK an PTX – Die Rote Kapelle“ entstand 1970 unter der Regie von Horst E. Brandt und nach dem Drehbuch von Wera und Claus Küchenmeister der DEFA-Film. Die Premiere fand am 25. März 1971 im Berliner Uraufführungskino „Kosmos“ statt.