Die Jugendherberge Lehnitz am Mühlenbecker Weg – entstanden in schwierigen Zeiten.
Teil 2. 1945 bis 1973
Von Bodo Becker
Über die unmittelbaren Nachkriegsjahre unserer Jugendherberge wissen wir Nichts. Auskunft gibt erst wieder ein Aktenordner der Lehnitzer Gemeindeverwaltung. Mit einem Mietvertrag vom 30. Juli 1948 zwischen dem Forstamt Borgsdorf und der Abteilung Volksbildung des Magistrats von Berlin übernahm das städtische Hauptsportamt das Gebäude mit Nebengelass und Garten vom 1. April 1948 gegen einen jährlichen Mietpreis in Höhe von 250 DM. Die 1946 gegründete Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) hatte schon bald damit begonnen, Wanderungen und Fahrten für ihre Mitglieder zu organisieren. Als staatliche Einrichtungen ihrer Jugendpolitik maß die Regierung den Jugendherbergen eine hohe Bedeutung zu. Im ersten Jugendgesetz vom Februar 1950 beschloss sie darum, 16 neue Herbergen zu errichten. Bereits am 10. August 1949 berichtete die Berliner Zeitung mit einem längeren Bericht über die „Eröffnung einer Jugendherberge der Stadt Berlin in Lehnitz“. Nach umfangreichen Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten waren hier vier große, helle und hohe Schlafräume sowie zwei Tagesaufenthalts- und Speiseräume mit Bänken, Tischen und kleinen Hockern entstanden, teilte die Zeitung mit. Wasch- und Duschräume sowie zwei gekachelte Küchen gab es ebenfalls. Mit dem Namen „Werner Seelenbinder“ (benannt nach einem kommunistischen Sportler, den die Nazis ermordet hatten) nahm die Herberge bereits ab dem 7. August die ersten Jugendlichen auf.
Übernachtungsmöglichkeiten in Herbergen fanden schon bald wachsenden Zuspruch bei den Jugendlichen. Der Lehnitzer Herbergsleiter schätzte 1950 die Anzahl der jährlichen Gäste auf 1.500 (Auslastung 68%). Die Ausstattung war einfach und funktionell, wie man einem Inventarverzeichnis aus dem Jahre 1952 entnehmen kann. Sie bestand aus 60 Betten, Tischen und Bänken sowie 50 Liegestühlen. Es gab ein Radio, für die Hausmusik eine Gitarre, zum Lesen 53 Bücher und Gesellschaftsspiele. Im Mai 1953 erfolgte die offizielle Registrierung der Jugendherberge durch das Amt für Jugendfragen der DDR-Regierung. Die Bettenzahl betrug jetzt 36 und als verantwortlicher Rechtsträger fungierte die Gemeinde Lehnitz.
In ihrer Verantwortung lagen nun Betrieb, Ausstattung und Instandhaltung der Einrichtung. In den nachfolgenden Wochen verschaffte sich der Bürgermeister einen Überblick über den Finanzbedarf für notwendige Baumaßnahmen, denn die Einrichtung befand sich einen „stark vernachlässigten Zustand“ (Brief des Bürgermeisters vom 28. Juli). Bis Ende des Jahres konnten mit finanzieller Hilfe des Rates des Kreises Oranienburg die Reparaturen durchgeführt werden. Dazu gehörte auch der Austausch der kleinen Fenster in den vier Schlafräumen, die für eine gesunde Belüftung nicht ausreichten. Im Jahre 1953 zählte man bis Juni 1640 Übernachtungen. Wie groß der Einfluss der FDJ auf das Herbergswesen festgelegt war, kann man an einem Vorgang in Lehnitz nachvollziehen, bei dem die vom Bürgermeister 1953 neu angestellte Leiterin nachträglich von der Bezirksleitung der FDJ in Potsdam „kadermäßig überprüft“ werden musste. Die Lehnitzer Jugendlichen nutzten die Jugendherberge ebenfalls für ihre Freizeitgestaltung, denn für sie gab es bis Ende der 1960er Jahre keine räumliche Möglichkeiten. Auch zu ihrer Freude erhielt diese vom Rat des Kreises im Dezember 1955 ein Fernsehgerät, deren Inbetriebnahme in „feierlicher Form in Anwesenheit vieler Jugendlicher“ stattfinden sollte. An eine besondere Veranstaltung in Vorbereitung seiner Jugendweihe im Jahr 1963 erinnert sich der Verfasser. Gemeinsam mit der Klassenlehrerin, Frau Walther, beging die 8. Klasse einen Tanzabend in der Jugendherberge. Für alle sollte es ein besonderer Abend werden, denn zum ersten Mal bewegten wir uns „öffentlich“ nach den Rythmen des Twistes. Unsere Klassenlehrerin machte gute Miene zum (für sie) bösen Spiel – der Twist war ein Tanz aus dem Westen! Die SED-Kulturpolitiker ließen als sozialistisches Gegenstück den Lipsi-Tanz kreieren. Bei den jugendlichen Tänzern fand der jedoch keinen Anklang.
In den nachfolgenden Jahrzehnten entsprachen Ausstattung und Komfort des Hauses immer weniger den Anforderungen. Die gestützten Übernachtungspreise betrugen bis 1989 für Kinder, Schüler, Studenten und Lehrlinge 0,25 DM. Als im Sommer 1973 am Lehnitzer Ufer des Lehnitzsees ein „Internationales Jugendtouristikzentrum“ mit insgesamt 560 Übernachtungsmöglichkeiten in 36 Bungalows eröffnet wurde, fand die Jugendherberge ihr Ende. Teile des Hauses und der Nebengebäude dienten nun der Gemeinde als Materiallager. Anfang 1977 suchte das VEB Hochbaukombinat Potsdam für seine Jungfacharbeiter aus der Aktion „FDJ-Initiative Berlin“ Übernachtungsmöglichkeiten. Das nicht genutzte Gebäude bot sich dafür an. Für ein Baukombinat waren die notwendigen Bauarbeiten kein Hindernis, so dass im April 1977 ein Nutzungsvertrag mit der Option eines möglichen Rechtsträgerwechsels abgeschlossen wurde. Bis zur Wende fanden hier Bauarbeiter eine Unterkunft. Danach setzte das Haus noch einige Jahre als Pension „Zum alten Forsthaus“ die Tradition des Übernachtens im Grünen fort.
Am 10. August 1949 berichtet die „Berliner Zeitung“:
Eröffnung einer Jugendherberge der Stadt Berlin in Lehnitz
Inmitten eines herrlichen Mischwaldes, an der Summter Chaussee, acht Minuten vom S- Bahnhof Lehnitz, liegt eine Jugendherberge der Stadt Berlin. Der Krieg schlug ihr schwere Wunden, denn ab 1943 hatte die Wehrmacht von ihr Besitz ergriffen, später wurde das friedliche Heim der Jugend zum Kriegsschauplatz. Nur die Mauern, das Treppenhaus und einzelne Innenräume blieben stehen.
Dem Hauptsportamt Berlin ist es zu verdanken daß dieses schöne Wanderheim der Berliner Jugend wiederaufgebaut wurde, Mit verhältnismäßig wenig Mitteln ist es gelungen, die Stätte der Jugend erneut entstehen zu lassen. Der Burgermeister von Lehnitz hat sich tatkraftig für die Wiedererrichtung der Jugendherberge eingesetzt, und die ansässigen Baufirmen haben alles getan, um noch in diesem Sommer fertig zu werden. Mancher Schweißtropfen hängt an den Maler-, Tischler-, Maurer- und Klempnerarbeiten. Dafür ist eine vorbildliche, entzückende Übernachtungsstätte geschaffen worden, dicht am Lehnitzer See, die vier große, helle und hohe Schlafräume enthält sowie zwei Tagesaufenthalts- und Speiseräume mit Bänken, Tischen, kleinen Hockern und sinnvollen Inschriften, die den Charakter des Hauses widerspiegeln. Vor dem Hause ladet eine kleine überdachte Veranda zum Verweilen ein. Im Innern befinden sich Wasch- und Duschräume für Knaben und Mädchen und zwei saubere, gekachelte Küchen. Für den Jugendherbergswart und seine Familie sind zwei schöne Räume mit separatem Treppenaufgang vorhanden.
Ein kleiner Büroraum zur Abwicklung der geschäftlichen Angelegenheiten und ein Abstellraum für Decken. Geschirr und Gebrauchsgegenstände vervollständigen die wirklich gut angelegte und allen Anforderungen gerecht werdende Jugendherberge. Sie bietet etwa 100 Jugendlichen Ubernachtungsmöglichkeit und bedeutet für die wanderlustige und erholungsbedürfige Berliner Jugend eine wertvolle Bereicherung,
Der Jugendherbergswart freut sich auf seine Aufgabe als Herbergsvater. Er hat keinen Weg und keine Bitte gescheut bei Behörden, Ämtern und Verwaltungen, war Tag und Nacht auf den Füßen, um Baumaterial heranzuschaffen, hat selbst mit angepackt und steht nun strahlenden Blickes vor dem vollendeten Hause. Sein Wunsch ist es, glückliche Jugend um sich zu haben, je mehr, desto besser!
Am 7. August dieses Jahres wurde die Jugendherberge, die den Namen „Werner- Seelenbinder-Jugendherberge” trägt, der Jugend zur Benutzung übergeben. Dieser Name soll die wandernde Jugend verpflichten, den Kampf gegen die Kriegshetzer aufzunehmen und für die Völkerverständigung einzutreten.
Die vielen Anfragen bei den übrigen drei städtischen Jugendherbergen Ützdorf bei Bernau, Neu-Vehlefanz bei Velten und Bad Saarow-Pieskow. die oftmals nicht ausreichen, den Strom der Berliner Jugend aufzunehmen, sollten ein Ansporn für den Magistrat von Groß-Berlin sein, weitere Projekte für die wandernde Jugend zu erschließen.
Am 27. Juli 1950 berichtet die SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“ kritisch über ein Traininslager in der Lehnitzer Jugendherberge:
„Am Dienstag besuchte Erich Ussat, der Berichterstatter des „Neuen Deutschland” für die Dauer der Friedensfahrt, das Trainingslager der Berliner Mannschaften in der Jugendherberge „Werner Seelenbinder“ in Lehnitz. Dort sind die drei Berliner Mannschaften mit Trainer, Betreuer und Masseur untergebracht, die in einem 14tägigen Lehrgang für die Friedensfahrt zusammengezogen worden sind.
Obgleich dieses Trainingslager in einer sehr schönen Umgebung liegt und den Teilnehmern des Lehrganges eine gesunde Grundlage gibt, erscheint es uns doch notwendig, auf einige Mißstände hinzuweisen. Leider mußten wir feststellen, daß die Unterbringung der Mannschaften in keiner Weise der notwendigen Vorbereitung auf die große Friedensfahrt gerecht wird. Allein schon die Unterbringung der fast 25 Teilnehmer ist mehr als primitiv und wirkt sich in jedem Falle nachteilig aus. Dieses ist natürlich kein Verschulden der Jugenherbergenleitung, sondern desjenigen verantwortlichen Sportfunktionärs, der die Jugendherberge „Werner Seelenbinder“ zum Trainingslager auswählte.
So stehen in zwei Schlafräumen von je 27 qm 21 Betten dreifach übereinander und lassen nur sehr wenig Luft, Licht und Sonne herein. Es sind ebenfalls weder Schränke noch Regale vorhanden. Der Aufenthalts- und Speiseraum ist ebenfalls unzulänglich. Brauseanlage oder Wannenbad stehen nicht zur Verfügung. Es ist weder ein Radio vorhanden, noch können die Fahrer sich bei schlechtem Wetter mit Gesellschaftsspielen die Zeit vertreiben oder sich durch Tageszeitungen über den Stand und die Vorbereitungen der Friedensfahrt orientieren. Es ist einfach nichts vorhanden. „Neues Deutschland” hat deshalb am Mittwochmorgen sofort ein Radio sowie Zeitungen und Bücher ins Trainingslager geschickt. Atze Nörenberg, der Betreuer der Mannschaft, teilte uns mit. daß am Ankunftstag der Trainigsteilnehmer nicht einmal Bestecke und Bettzeug vorhanden waren. Es ist also kein Wunder, wenn
einige der Teilnehmer nach Schluß des Tagestrainings sich auf ihre Maschine setzen und nach Berlin fahren.
Alle Fahrer erklärten uns, daß sie mit der täglichen Verpflegung und der Heimleitung sehr zufrieden sind und ein sehr enges und herzliches Verhältnis vorhanden ist. Wir sprachen ebenfalls mit Herrn und Frau Tautz, die diese Herberge leiten, und gewannen den Eindruck der unbedingten Zuverlässigkeit und herzlichen Kameradschaft mit den Teilnehmern. Betreuer Nörenberg, einstmals ein erfolgreicher Rennfahrer, gibt seinen Schützlingen vor der morgendlichen Ausfahrt gute Ratschläge. Nachmittags endet die Trainingsfahrt meistenteils mit einem Spurt, bei dem es dann sehr lebhaft zugeht. Nach der Reinigung hat der Masseur dann das Wort, der den Andrang der vielen Fahrer kaum bewältigen kann. Es wäre notwendig, eine zweite Kraft zum Massieren zu haben. Aus der Unterhaltung mit den Fahrern entnahmen wir, daß sie ein sehr scharfes und hartes Training bereits hinter sich haben. Es erscheint uns allerdings als zu hart angelegt, wenn die Fahrer in sechs Tagen 900 km heruntergefahren sind und davon 600 km allein in drei Tagen fahren mußten. Der Betreuer erteilt auch noch Unterricht an die Fahrer, woraus sie manchen wertvollen Hinweis mit auf die Fahrt nehmen.
Wir verabschiedeten uns sehr herzlich von allen Teilnehmern und wünschten ihnen für die große Friedensfahrt 1950 durch die Deutsche Demokratische Republik viel Glück und guten Erfolg.“