Wanderung um den Lehnitzsee Teil 2

Osterwanderung 1905: Durch die Oranienburger Neustadt um den Lehnitzsee zum Bahnhof Lehnitz. Teil 2. Über den Stintgraben bis zum Lehnitzfließ (für Teil 1 hier klicken).

Von Bodo Becker

Die Schmachtenhagener Chaussee überquert einen Entwässerungsgraben, der von den links gelegenen Ländereien (ehemaligen Karpfenteichen) kommend seinen Weg in den Lehnitzsee nimmt. Dahinter verlassen sie die Straße nach rechts auf einen schmalen Fußweg. Der verläuft auf einer Sicheldüne am Seeufer entlang. Plötzlich ein steiler Abfall, der Uferweg ist sumpfig geworden, ein hölzerner Steig lässt sie den erreichten Stintgraben überwinden. Seinen Namen hat er von den Stinten, die hier ihren Laich ablegen. Das schnell fließende Frühlingswasser aus dem Grabowsee hat an der Seemündung einen sichtbaren Kegel aus Sand angeschwemmt. Wendet man sich nach links, so schaut man in den prächtigen Laubwald des kaiserlichen Hofjagdreviers. Der Ausläufer einer Binnendüne lässt den Weg wieder ansteigen und ermöglicht einen weiten Blick über den Lehnitzsee.

Auf dem dunkelblauen Wasserspiegel, umrahmt von einem dichten Schilfgürtel, brechen sich die Sonnenstrahlen. Zwischen den Baumwipfeln sind rote Dächer und der Oranienburger Kirchturm sichtbar; in der Ferne verkehren einige Segel- und Motorboote. Es geht weiter auf einer Waldstraße bis zum Ortseingang des Gutsbezirks Lehnitz.

Ins Auge fällt hier sofort das eindrucksvolle Gebäude des Jüdischen Genesungsheims Lehnitz an der Victoriastraße (Magnus-Hirschfeld-Straße). Seit fünf Jahren finden hier bedürftige Frauen und Kinder für einige Zeit Erholung. Von der ansonsten unbebauten Straße gelangt die Gruppe nach rechts abbiegend auf die Uferpromenade zum Hotelrestaurant Zum Seelöwen.

Mit einem Biergarten, Festsaal und Aussichtsturm ist es die größte Lokalität am Lehnitzsee. Hunderte Ausflugsgäste genießen in der freien Natur den Feiertag. An ihnen vorüber geht es weiter am See entlang in den Badeweg, wo sich das Seebad Lehnitz von 1893 befindet. In den nach Geschlecht getrennten Badebereichen können Wasserfreunde jeden Alters in züchtiger Badekleidung schwimmen und Spaß haben. Der mit Jugendstilmotiven versehene hölzerne Eingangsbereich beherbergt zusätzlich eine Gaststätte. Bei den Seminaristen besteht kein Badewunsch, so dass sie bald in die mit Eichenbäumen begrenzte Florastraße kommen. Die meisten Parzellen dieser schmalen Sandstraße sind noch unbebaut. Wenn man jedoch gebaut hat, dann haben sich die Bauherren mehrstöckige Villen mit Türmen und historischem Fassadenschmuck errichten lassen.

Besonders auffallend ist das ausladende Haus an der Ecke Kronprinzenstraße (Thomas-Müntzer-Straße). Zinnen, Türme, Balkone und romanische Fensterbögen geben der Pension und dem Café Seeschlösschen ein sehenswertes Gepräge. Nur wenige Minuten trennen nun die künftigen Volksschullehrer vom Ende ihrer Exkursion. An der Stehbierhalle am Bahnhof Lehnitz gibt es noch einen kurzen Aufenthalt mit Bockwurst und Fassbrause. Danach geht es über die Gleise der Nordbahn, vorbei am Restaurant Lehnitz-See zur Anlegestelle am kanalisierten Lehnitzfließ. Hier besteigen sie ein Elektroboot der Reederei von Fritz Kälber, das sie auf der Rückfahrt von einer Lehnitzsee-Rundfahrt zur Havel-Anlegestelle Louisenbad am Luisenplatz (Schlossplatz) bringt.

Alle Abbildungen Archiv B. Becker