Lehnitzer Vereinskultur von den Anfängen bis 1945. T. 2.

Lehnitzer Vereinskultur von den Anfängen bis 1945. T. 2. Gemeinnützige Vereine und Interessenvertretungen

Von Bodo Becker

Als erster gemeinnütziger Verein gründete sich am 11. September 1914 mit 30 Frauen der “Vaterländische Frauenverein” des Roten Kreuzes. Mit seiner Existenz ist ein intensives Wirken im Bereich der Sozialarbeit verbunden. Auf Wohltätigkeitsveranstaltungen wurden Geld- und Sachspenden gesammelt, die hilfsbedürftigen Familien zugute kamen. Die Advents- bzw. Weihnachtsfeiern hatten mit ihren unterhaltsamen Darbietungen und den Geschenken für die Sozialschwachen einen festen Platz im Jahreslauf der Gemeinde.


Abb. 1. Briesetal-Bote, 17.09.1921

Mitten in den Inflationsjahren nach dem Ersten Weltkrieg schufen sich die Lehnitzer eine lebensnotwendige Organisation: die “Freiwillige Feuerwehr Lehnitz”. Im Herbst 1922 hatte der “Grund- und Villenbesitzer-Verein Lehnitz” die Gründung der Feuerwehr angeregt. Geldmangel der Gemeinde (Lehnitz war am 1. Juli 1922 eine selbständige Gemeinde geworden) hatten den Aufbau jedoch verzögert. Am 31. Mai 1923 konnte die eigentliche Konstituierung im Restaurant Seelöwe endlich vollzogen werden. Reiche Bürger stifteten einige Milliarden Inflationsgeld, eine Sammlung und Geld von der Brandenburgischen Feuersocietät ermöglichten den Kauf von Ausrüstungsgegenständen. 28 aktive Mitglieder stellten sich im Gründungsjahr für die Brandbekämpfung zur Verfügung. Die erste große Bewährungsprobe hatte unsere Wehr beim Brand der Oranienburger Mühle im Mai 1930. Gemeinsam mit 13 weiteren Freiwilligen Feuerwehren kam sie hier zum Einsatz.

Abb. 2. Briesetal-Bote, 06.05.1930, Fortsetzung siehe unten

Der Ausrüstungsstand konnte jährlich verbessert werden, und 1932 bekam die Wehr sogar ein starkes Personenauto, das sie zu einem Mannschafts- und Gerätewagen umbaute. Ein herausragendes Ereignis in der Geschichte der Wehr war zweifellos die Einweihung des Wohn- und Gerätehauses am 4. Juli 1931 im Birkenwerderweg.


Abb. 3. Briesetal-Bote, 06.05.30, Schluss

Ohne die freiwillige Mithilfe der Kameraden hätte das Gebäude nicht errichtet werden können. (1977 musste es dem Bahnhofsneubau weichen.) Neben der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe gestalteten sich die jährlichen “Feuerwehr-Vergnügen” mit ihren originellen Programmen im Restaurant Seelöwe zu Höhepunkten des geselligen Lebens im Ort. Das Winterfest 1925 stand unter dem Motto: “Jahrmarkt in Alt-Lehnitz”. Angefangen von der “süßen Therese” bis zu “Lillys Galanteriewaren” waren sämtliche Buden vertreten. Die Nachbarwehr Birkenwerder sorgte für Musik, ein Theaterstück ging über die Bühne. In einem imaginären Zwiegespräch zwischen dem Brandmeister und dem Bürgermeister wurde über die Notwendigkeit der Anschaffung einer kleinen Motorspritze debattiert. Dieser Wunsch ging erst im April 1929 mit dem Kauf einer zwei rädigen Lafettenspritze in Erfüllung. “Achtung, Achtung! Hier ist der Seelöwe Lehnitz auf Welle 505!” So lud die Feuerwehr zum dritten Stiftungsfest mit einer Anzeige im Briesetal-Boten ein. Mit Militärmusik, einem Theaterspiel, einer Tombola und Tanz hielten sich die Feuerwehrmänner und Gäste bei Stimmung. Die Lehnitzer vergnügten sich mit ihrer Feuerwehr jedes Jahr, denn die Kameraden besaßen hohes Ansehen im Ort.

(Vgl. Beitr.: 95 Jahre im Dienste der Allgemeinheit. Die Freiwillige Feuerwehr Lehnitz. T. 1.

und 95 Jahre im Dienste der Allgemeinheit. Die Freiwillige Feuerwehr Lehnitz. T. 2.)


Abb. 4. Ansichtskarte, gelaufen 1919: Lehnitzer Wassersportler

Die Gründung der ersten Interessenvertretung Lehnitzer Bürger, der “Grund- und Villenbesitzer-Verein Lehnitz e.V.”, fand am 17. November 1895 statt. Die mangelhafte Infrastruktur des Ortes förderte die Bereitschaft zum Zusammenschluss der Einwohner und Neusiedler (1871=58; 1905=206; 1925=497; 1938=1786). Die zunehmende soziale Differenzierung der Einwohner (hier Hausbesitzer, Wochenendsiedler, Mieter) führte in den Jahren nach 1918 zu neuen Vereinsgründungen mit zunehmendem kommunalpolitischen Einfluss. 1922 hatte sich die “Einwohner-Interessen-Vereinigung” gegründet, die sich als Organisation der Mieter verstand. Sie vertrat u.a. die Interessen der Mieter auf dem “Mieteinigungsamt” der Gemeindeverwaltung. Bei den Gemeindewahlen im Jahre 1929 traten beide Vereine mit einer Listenvereinigung an und konnten ohne Parteienkonkurrenz alle Vertreter für das Ortsparlament stellen. Im Vorfeld der Wahlen hatte sich die “Einwohner-Interessen-Vereinigung” als “Ortsverein Lehnitz e.V.” in das Oranienburger Vereinsregister eintragen lassen. Bereits im Herbst 1930 besaß der “Ortsverein” über 200 Mitglieder. Seine Mitgliederschaft umfasste Hausbesitzer, Wochenendsiedler und Mieter. Einem der wortgewaltigsten Mitglieder der Lehnitzer NSDAP, Hans Hinkel, war es gelungen, sich zum Vorsitzenden des überparteilichen „Ortsvereins“ wählen zu lassen. (Hinkel stieg nach 1933 zu einem einflußreichen Kulturpolitiker im Propagandaministerium auf.) Nur wenige Tage nach der Gründung der Lehnitzer SPD-Gruppe (2. Juni 1930) hielt Hinkel auf einer Veranstaltung eine Rede mit dem Titel: „SPD – die Partei des Arbeiterverrates.“ Die politische und soziale Demagogie der Nazipartei blieb auch in Lehnitz nicht ohne Wirkung, denn bei den Landtagswahlen im November 1929 bekam die NSDAP die meisten Stimmen. Der „Ortsverein“ besaß bis 1932 großen Einfluss im Gemeindeparlament, was zu Auseinandersetzungen innerhalb des “Grund- und Villenbesitzer-Vereins” führte. Einige Mitglieder wollten die Öffnung des Vereins auch für die Wochenendsiedler. 25 Mitglieder traten im Oktober 1930 aus und konstituierten sich im November 1930 zum “Verein für Grundbesitz und Bürgertum e.V. Lehnitz”. Der “Grund- und Villenbesitzer-Verein” besaß nun noch annähernd 100 Mitglieder. Für die Unterstützung seiner Mitgliederwerbung ließ man Messingschilder anfertigen, die sichtbar am Haus oder Gartenzaun angebracht werden sollten.


Abb. 5. Messingschild

Im Sommer 1931 brachte es der Verein dann wieder auf über 150 Mitglieder (September 1932=191 Mitglieder). Trotz vieler Vereinsquerelen zogen die Gemeindevertreter im Ortsparlament weitestgehend an einem Strang. Mangelnde bzw. nicht vorhandene Wasser- und Elektrizitätsversorgung (sie begann in Lehnitz 1897), der Zustand von Straßen und Wegen, Probleme der Sozial- und Wohlfahrtsversorgung und nicht zuletzt der schrumpfende Gemeindehaushalt stellten die Kommunalpolitiker vor schwierige Aufgaben. Neben der kommunalpolitischen Arbeit praktizierten diese Vereine ein interessantes Programm. Hier seien beispielhaft die diskutierten Themen einer Versammlung des “Grund- und Villenbesitzer-Vereins” aus dem Jahre 1930 genannt: Forderung nach einer geregelten Müllabfuhr; Kritik an einer Siedlungsfirma wegen des Anbringens großer Reklameschilder; Diskussion um die Anliegerbeteiligung an der geplanten Pflasterung des Birkenwerderweges; Widerstand gegen kleine Parzellierungen und den Bau von Holzhäusern.


Abb. 6. Ansichtskarte, ungelaufen. Vor der Pflasterung des Birkenwerderweges

Angeblich würden die Wochenendsiedler die Grundstückspreise in Lehnitz drücken. Die kleinen Wochenendsiedler waren in großer Anzahl zum “Ortsverein” gegangen. Breiten Raum nahmen auch Bildungsveranstaltungen über allgemein interessierende Themen ein. So konnten sich im April 1931 die Mitglieder des “Ortsvereins” einen Vortrag über die Oranienburger “Milchwirtschaftliche Lehr- und Versuchsanstalt” anhören. Der “Verein für Grundbesitz und Bürgertum” ließ einen Vertreter des “Märkischen Energie- und Wasserwerkes” über die Möglichkeit eines Warmwasserspeichers im Haushalt referieren. Im “Grund- und Villenbesitzer-Verein” gab der Oranienburger Gartenbaudirektor Hinweise für die Anlage eines Wochenendgartens. Derartige Versammlungen waren auch an den Sonnabenden gut besucht. Die Gemeinde Lehnitz selbst trat 1926 dem “Österreich-deutschen Volksbund” bei. Dieser Verein warb für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Zur Unterstützung und Förderung des Tourismus entstand im gleichen Jahr der “Verband märkischer Kur- und Erholungsorte”. Für Lehnitz saß der Besitzer des “Seelöwen”, Karl Scheidt, im Gründungsvorstand. Er hatte auch die Beitrittskosten für Lehnitz übernommen. Am 16. Januar 1932 löste sich der “Ortsverein Lehnitz e.V.” auf. In der angespannten sozialen Situation jener Jahre divergierten die Interessen der Hausbesitzer, Siedler und Mieter so stark, dass der “Ortsverein” daran zerbrach.


Abb. 7. Briesetal-Bote, 06.05.1930

Das Jahr 1933 bedeutete eine Zäsur für das Vereinsleben in Lehnitz. Der “Verein für Grundbesitz und Bürgertum” überlebte die politischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Ort nicht. Die bleibenden Vereine mussten sich mehr oder weniger freiwillig gleichschalten, d.h. dem nationalsozialistischen Führungsanspruch unterwerfen. Nationalsozialistische Ideologie und Politik beherrschten nun ihre Veranstaltungen. Besonders der “Vaterländische Frauenverein” und die “Freiwillige Feuerwehr” wurden politisch instrumentalisiert. Auch der „Verein Naturfreunde Lehnitz e.V.“ unterwarf sich dem NS-Regime symbolkräftig:


Abb. 8. Briesetal-Bote, 30.05.1933

Hinzu kamen die nationalsozialistischen Organisationen, u.a. NS-Frauenschaft, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel, Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand. Als der am 1. Mai 1933 von den Nationalsozialisten propagierte “Tag der nationalen Arbeit” begangen wurde, nahmen neben den Nazi-Organisationen auch alle Lehnitzer Vereine an den Veranstaltungen teil.

Abb. 9. Briesetal-Bote, 06.05.1933

Aus heutiger Sicht nicht ohne Komik ist die Gründung einer Lehnitzer Ortsgruppe des “Reichskolonialbundes” im Jahre 1936. Das 1938 stattgefundene erste “Kolonialfest” im Restaurant Seelöwe, versuchte mit viel schneidiger Musik, Fahnen und kämpferischen Ansprachen “alte koloniale Herrlichkeit” in Lehnitz aufleben zu lassen.

Die angeordneten Veranstaltungen der Vereine dienten letztendlich mit Luftschutz- und Sanitätsübungen,Tipps für Ernährung und Haushaltsführung, Familien- und Mutterschaftspropaganda, Teilnahme an propagandistischen Aufmärschen und ideologischer Einflussnahme der Vorbereitung auf einen Krieg. Im Sommer 1938 gründete sich dann eine, von der örtlichen NSDAP lange geforderte, Ortsgruppe des “Roten Kreuzes”. Der Beginn des Krieges brachte das wenige traditionelle Vereinsleben entgültig zum Erliegen. (Siehe Abb. 10)

Abb. 10. Briesetal-Bote, 30.09.1939

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