1930er Jahre – Politik in Lehnitz Teil 2

SPD-Ortsgruppe Lehnitz: Von der Gründung bis zum Verbot. T. 2. Im Kampf um die Demokratie

Von Bodo Becker

Im Vorfeld der Reichspräsidentenwahlen im April 1932 gab es im Restaurant Lehnitz-See eine Wahlveranstaltung, die der frühere sozialdemokratische Reichsarbeitsminister Rudolf Wissell (18691962) mit einer Rede einleitete. Diese und noch weitere Bemühungen der SPD-Gruppe konnten den Wahltrend in Lehnitz jedoch nicht umkehren: Seit 1929 bekam die NSDAP hier die meisten Stimmen; so auch im Wahljahr 1932. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli bekam die Nazipartei 501 Stimmen, gefolgt von der SPD mit 466 und der KPD mit 262 Stimmen. (Reichstagswahlen 6.11.: NSDAP=183; SPD=148; KPD=60; DNVP=108)

Abb. 1. Gaststätte Seebad Lehnitz. Ansichtskarte, gelaufen um 1919

Am 18. Januar 1933, nur wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, wählten die SPD-Mitglieder in der Gaststätte Seebad Lehnitz (heute Friedrich-Wolf-Straße 54) einen neuen Vorstand. Karl Wilhelm wurde Vorsitzender, Martin Teller sein Stellvertreter. Elf Lehnitzer Sozialdemokraten ließen sich in der letzten öffentlich stattfindenden Versammlung am 16. Februar (ebenfalls im Seebad Lehnitz) für die Gemeindevertretung auf die Kandidatenliste ihrer Partei setzen. An erster Stelle Alfred Goldschmidt, es folgten Otto Cunjahn und Erich Werst. Auf den 4. Platz kandidierte Marie Balz. Dafür bedurfte es zu diesem Zeitpunkt schon erheblicher Zivilcourage. In den Wochen vor den Reichs- und Landtagswahlen am 5. März führten die NSDAP und ihre Hilfsorganisationen, insbesondere die SA, einen Wahlkampf, bestehend aus Gewalt, Einschüchterung und Demagogie. So meldete der Briesetal-Bote das Verbot einer SPD-Wahlkundgebung durch den Landrat (26. Februar) und eine Hausdurchsuchung bei dem in Lehnitz am Gutsplatz wohnenden niederländischen Schriftsteller und Journalisten Nico Rost. Hier wollte man “mehrere Zentner” kommunistische Flugblätter gefunden haben. (Vgl. Beiträge: NS-Terror in Lehnitz – Entrechtung der parlamentarischen Demokratie. Das Jahr 1933; Nico (Nicolaas) Rost – ein aufrechter Schriftsteller in Lehnitz) Vor dem Wahltag veranstaltete die NSDAP eine Kundgebung am Kriegerenkmal in Lehnitz. Hier, an diesem für die Lehnitzer jener Zeit wichtigen Gedenkort, inszenierten die Nazis eine “Heldengedächtnisfeier”, in die sie auch gleich die Toten ihrer „Bewegung“ nach 1919 einbezogen.

Abb. 2. Aufgenommen um 1935. Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr Lehnitz

Anschließend traf man sich zum Hören einer “Führerrede” im Café Hildebrandt in der Florastraße, dem Versammlungslokal der NSDAP. In makaberer Weise war es auch Wahllokal für die am nächsten Tag stattfindenden Wahlen. Die NSDAP konnte ihren Stimmenanteil gegenüber den Wahlen im Vorjahr weiter ausbauen. Am darauf folgenden Sonntag, dem Volkstrauertag, fanden die Kommunalwahlen statt. Wieder missbrauchten die Nazis das Kriegerdenkmal für ihren Wahlkampf. Nach der offiziellen Kranzniederlegung stand am Denkmal eine NSDAP-Wache den ganzen Tag. Zusätzlich erhellten zwei Leuchtfeuer den Platz in den Abendstunden. Die Wahlen brachten zwar einen erheblichen Stimmenzuwachs für die NSDAP, jedoch reichte er für eine alleinige Mehrheit nicht aus. Für die SPD konnte nur Alfred Goldschmidt in das Gemeindeparlament ziehen, das bald diesen Namen nicht mehr verdienen sollte. (Vgl. Beitr.: Widerständige Zivilcourage im nationalsozialistischen Unrechtsstaat) Als er am 4. Mai zur ersten Arbeitssitzung erschien, hatten sich zu den drei Vertretern der NSDAP-Fraktion noch zwei Abgeordnete des Villen- und Grundbesitzer-Vereins der Nazi-Fraktion angeschlossen, so dass sie die Mehrheitsfraktion bildeten. Damit besaß die NSDAP mit fünf Stimmen die Mehrheit im neunköpfigen Gemeindeparlament. Goldschmidt musste die Auflösung der SPD-Ortsgruppe bekanntgeben. Als Vertreter der Bürger „wolle er jedoch weiter in der Gemeindevertretung wirken“, schickte er hinterher. Dass Goldschmidt seinen Mut noch nicht verloren hatte, bewies er noch am gleichen Abend. Nur er stimmte gegen den Kauf eines Hitlerbildes mit der Begründung: “Die Anbringung des Hitlerbildes entspreche nicht jedermanns Meinung; ferner wisse man auch nicht, wie lange die jetzige Regierung im Amt bleibe!” (Briesetal-Bote, 07. Mai 1933) Mit dem verordneten SPD-Verbot am 22. Juni 1933 schlossen die Abgeordneten Alfred Goldschmidt aus dem Gemeindeparlament aus. Nach fast drei Jahren waren damit die kommunalpolitischen Aktivitäten der SPD in Lehnitz beendet.

Nachtrag:

Tödlich endete das Schicksal von Erich Werst. Zwei Jahre später barg man seine Leiche aus der Havel. In einem Bericht des emigrierten sozialdemokratischen Parteivorstandes in Prag (SOPADE) informierte man über seinen gewaltsamen Tod: „Anfang März wurde der frühere Sozialdemokrat und Reichsbannerführer Werst, Lehnitz bei Oranienburg, durch Kopfschuss getötet.“ (SOPADE, 25.03.1935)

Am 30. April 1936 sah sich der Briesetal-Bote zu folgender Mitteilung veranlasst:

Namen der SPD-Ortsgruppe:

  • Balz, Albert
  • Balz, Marie
  • Bergemann, Fritz
  • Cunjahn, Otto
  • Goetze, Emil
  • Goldberg, Georg
  • Goldschmidt, Alfred
  • Lukas, Hermann
  • Nehl, Otto
  • Pfarr, Max
  • Teller, Martin
  • Werst, Erich
  • Werst, Wilhelm
  • Wilhelm, Karl

(Quelle: Briesetal-Bote, 1930-33)