Lehnitzer Geschichten: Zwangsarbeit und Kriegsende (Teil 1)

Zwangsarbeit und Kriegsende in Lehnitz. T. 1

Von Bodo Becker

Formen unfreier Arbeit gehörten zum Wirtschafts- und Herrschaftsinstrumentarium der nationalsozialistischen Diktatur. Es gab die Dienstverpflichteten, die Pflichtjahrmädchen und die Arbeitsdienstler. Zwangsarbeit aber mussten die Häftlinge der 1933 schnell errichteten Konzentrationslager leisten, denn ein nicht unwesentlicher Aspekt der Gefangenschaft sollte es sein, durch den daraus entstehenden Einnahmen „eine Verbilligung in der Unterhaltung der Konzentrationslager zu erzielen“, wie es der Reichsinnenminister in einem Schreiben an die Landesregierungen im Mai 1933 formuliert hatte.

Im gesamten Stadtgebiet Oranienburg und der Umgebung kamen daher Häftlinge aus dem Oranienburger Konzentrationslager zum Einsatz. Die braune Gemeindeverwaltung in Lehnitz nutzte die engen Beziehungen zum Kommandanten des Konzentrationslagers, der als Einwohner von Lehnitz zugleich sogenannter Gemeindeältester war. So konnten bis zur Schließung des Konzentrationslagers im Jahre 1934 annähernd fünfzig Gefangene als billige Arbeitskräfte im örtlichen Straßenbau ausgebeutet werden. Der Briesetal-Bote informierte darüber seine Leser: „Planung und Nivellierung des Havelkorsos wurden aus Gründen der Billigkeit teilweise von Insassen des Oranienburger Konzentrationslagers ausgeführt„ (5. Juli 1934). Ein weiterer Einsatzort war die Neuanlage der Uferpromenade am Lehnitzsee.

Nach Kriegsbeginn 1939 baute der SS-Unterdrückungsapparat die Ausbeutung von Zwangsarbeitern für die deutsche Kriegswirtschaft weiter aus. Zu den KZ-Häftlingen kamen die Fremdarbeiter aus den besetzten Gebieten und die Kriegsgefangenen. Auch in Lehnitz gab es im Verlauf des Krieges vier Baugeschehen, bei denen Kriegsgefangene und Häftlinge aus dem Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Gescheitertes Vorhaben – Kreiskrankenhaus

Am 16. November 1940 fand mit großem publizistischen Propagandaaufwand und viel brauner Prominenz die Grundsteinlegung für ein Vorhaben statt, das nie vollendet werden sollte. Es handelte sich um die Errichtung eines Kreiskrankenhauses auf einem 14 Hektar großen Grundstück hinter dem ehemaligen „Jüdischen Erholungsheim Lehnitz“ am Ende der Viktoriastraße (heute Magnus-Hirschfeld-Straße). Zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude bereits ein zum Kreiskrankenhaus Oranienburg gehöriges Hilfskrankenhaus. (Vgl. Beitr.: Der Novemberpogrom 1938 – das Ende des Jüdischen Erholungsheims Lehnitz) Nun sollte ein Krankenhaus für 300 Patienten mit der notwendigen Infrastruktur entstehen. Zeitzeugen berichten, dass große Gruppen von Häftlingen über die Straßen zum Arbeitseinsatz zogen. Mit Schippen mussten sie eine riesige Baugrube ausheben. Der anfallende weiße Sand wurde auf Loren zur heutigen Badestelle „Weißer Strand“ am Lehnitzsee gefahren.

Abb. 1. Zeltstadt und Badestelle (ohne weißen Strand), 1936. Alle Abb. Archiv Becker

In unmittelbarer Nähe stand eine mit Stacheldraht eingezäunte Baracke. Hier waren russische Kriegsgefangene untergebracht, die ebenfalls Zwangsarbeit leisten mussten. Der Kriegsverlauf brachte die Arbeiten zum Erliegen. Noch nach Jahrzehnten erinnerte eine riesige Grube, die langsam mit Müll unterschiedlichster Herkunft gefüllt wurde, an das nicht verwirklichte Projekt.

Abb. 2. Entwurf von Friedrich Eckart Muthesius (1904-1989)

Siedlung für Testpiloten

Nur wenige hundert Meter entfernt entstanden in den Jahren 1941 bis 1943 im Auftrag der „Versuchsstelle für Höhenflüge e.V.“ auf einem ca. 7 Hektar großen Areal 20 Siedlungshäuser. In der von dem Architekten Klaus Heese entworfenen Siedlungsanlage zogen Testpiloten und Offiziere der Wehrmacht mit ihren Familien ein. Bis Kriegsende trug sie den Namen „Ritterkreuz-Siedlung“. Der Architekt hatte die Häuser nach Lage und Bauausführung harmonisch in den vorhandenen Kiefernwald eingefügt. Der Schirm der Kiefern sollte die Gebäude überdachen und mit der Wahl einer gelbbraunen äußeren Klinkerverblendung orientierte man sich farblich bewusst an den Stämmen des damals vorhandenen aufgelockerten Kiefernbestandes.

Abb. 3. Häuser ohne Grundstückszäune mit Straßenführung

Die verbauten Klinkersteine und ein Teil der notwendigen Arbeitskräfte kamen aus dem nahen Großziegelwerk des SS-Wirtschaftsunternehmen „Deutsche Erd- und Steinwerke G.m.b.H.(DESt)“ und dem Konzentrationslager. Eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1947 informiert darüber: “An dem Bau dieser Siedlung waren Strafkompanien des Sachsenhausener Konzentrationslager beteiligt, und so mancher Häftling hat hier beim Schleppen schwerer Lasten im Laufschritt sein Leben gelassen. Der Waldboden dieser Siedlung ist für alle Kämpfer gegen den Faschismus heiliger Boden, eine Stätte steter Erinnerung an die vielen Opfer, deren Vermächtnis wir heute zu erfüllen haben. Niemand hat daher ein größeres Recht an diesen 20 Häusern als diejenigen, deren Blut und Schweiß bei der Errichtung geflossen ist.” In den Jahrzehnten der DDR, der Siedlungsname lautete jetzt „Ernst-Thälmann-Siedlung“, gab es in einem der Häuser eine Wochenkrippe. Hier konnten Eltern ihre Kleinkinder bis 3 Jahre versorgen lassen. Zumeist Angehörige der neuen politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Elite bezogen die restlichen Häuser.

(Vgl. die Beiträge: Adelheid und Marie Torhorst – Pädagoginnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen.Else Wolf – zum 120. Geburtstag einer engagierten Mitbürgerin)